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SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Opitz
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vielleicht nochmal die Normalität vor Augen geführt bekommen würde.«
    Ich komme ins Grübeln. Klar, als im weitesten Sinne linksalternativer Filmemacher hatte ich mir das so oder so ähnlich irgendwie immer vorgestellt, ohne diese Welt wirklich zu kennen. Aber gleichzeitig habe ich solchen vermeintlich holzschnittartigen und platten Vorurteilen auch immer misstraut. Doch Rudi bestätigt sie jetzt auf ganzer Linie. Aber an irgendetwas muss doch auch er damals geglaubt haben. Welche Werte hat er damals vertreten? Haben die sich heute verändert?
    Â»Da sprichst du ein Thema an, über das ich inzwischen auch viel nachdenke. Ich würde rückblickend sagen, dass die Eliten, zu denen ich gehörte, völlig wertfrei sind. Der einzige Wert, der verfolgt wird, ist die Maximierung des Eigenwerts.«
    Einige Stunden später, Rudi hat inzwischen zwei einkehrenden Wanderern aus dem Rheinland das Essen serviert, die Betten im Gästezimmer bezogen und sich um das Geschirr gekümmert, sitzen wir am offenen Kamin in der Gaststube des Gemsli und haben jeweils einen Krug Bier vor uns. Was Rudi mir am Nachmittag über sein Leben als Banker erzählte, hat mich noch eine ganze Weile beschäftigt. Das Urteil des Exbankers über seine Arbeitswelt und die Kollegen war vernichtend. Dabei waren wir noch nicht einmal beim Höhepunkt seiner Karriere angekommen, seinem Job bei der berüchtigten Investmentbank Lehman Brothers. Wie kam er denn ausgerechnet da noch hin, wenn ohnehin schon Zweifel an ihm nagten?
    Â»Das Geschäft lief damals ab wie bei Söldnern. Die Investmentbanker waren die Söldnerheere und die Banken die Kriegsherren. Und klar, man geht zu dem Kriegsherrn, der am besten bezahlt.« In Rudis Fall hieß das: Er wurde von der Deutschen Bank abgeworben und heuerte bei Lehman Brothers an. Dort ist aus einem diffusen Unwohlsein schließlich ein echter Zweifel an seinem Lebensweg geworden. »Bei Lehman Brothers war die absolute Gier nach Boni, nach Geldanhäufen noch deutlicher. Die Chefs haben erst gar nicht versucht, mir den Job inhaltlich schmackhaft zu machen. Nein. Es ging immer nur darum zu sagen: ›You can become filthy rich‹, also: ›Bei uns können Sie unanständig reich werden.‹ Da sind mir zum ersten Mal deutliche Zweifel gekommen.«
    Die Zweifel sind auch im Arbeitsalltag immer größer geworden. Rudi hält kurz inne, um nachzudenken, und muss dann lachen. Ihm sei zunehmend auch bewusst geworden, dass vieles in seinem alten Leben und in seinem Beruf auch Schaumschlägerei und zur Schau gestellter Aktionismus gewesen sei. So habe er jeden Montag zu einem Meeting der europäischen Regionaldirektoren von Lehman Brothers nach London fliegen müssen, bei dem es vor allem darum ging, im Kreis der Kollegen die eigene Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Das geschehe bei Banken in der Regel durch die Anzahl der Kundenkontakte. Also habe jeder Managing Director mit der Anzahl seiner Kundenkontakte geprahlt und eine Liste darüber geführt.
    Â»Dabei war es egal, was sie tatsächlich geschafft haben. Das heißt, wenn der Direktor für Frankreich einen Spezi als Vorstandsvorsitzenden in der Firma XY hatte, dann ruft der den an und fragt: ›Wie geht’s den Kindern?‹, und dann ist er sofort eingetragen als wichtiger Kundenkontakt. Und so gab’s eine Inflation dieser Kontakte ohne Inhalt. Man flog also jeden Montag nach London, und jeder prahlte quasi mit seinen tollen Kontakten, die oftmals noch nicht einmal echte waren. Und wenn man sich die Substanz angesehen hat, war da nichts Handfestes.«
    Das sei exemplarisch für viele Prozesse bei den Banken und Beratungsfirmen. Da würden irgendwelche sinnlosen Leistungsparameter festgelegt, an denen die Leistung der Mitarbeiter gemessen werden soll, die sich natürlich ständig zu steigern hätte.
    Im Hier und Jetzt machen Rudi und ich lieber noch ein weiteres Bier auf. Der kontrollierte Rudi ist mittlerweile, für seine Verhältnisse, richtig in Fahrt. Es scheint sich einiges angestaut zu haben. Und jetzt muss es raus. Sein Urteil über das Leben als Banker klingt gleichzeitig so vernichtend und klarsichtig, dass ich mich frage, wie Rudi, dieser nette Typ, der mir gegenübersitzt, so lange in diesem scheinbar so verrotteten Metier mitmachen und mit seinen Zweifeln leben konnte. Und da kommt kurz die leicht schizophrene Seite Rudis zum

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