Speichelfaeden in der Buttermilch
schwer, aber dann? Tja, seit sie ihre rechte Hand bei einem Sasha-Konzert verloren hatte, da waren alle Zahlenkombinationen über fünf für sie praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. Ihre Wut auf Sasha war verständlich. »Dieses Arschloch!«, dachte sie oft. Hätte Sasha damals nicht versucht, sie an der Hand auf die Bühne zu ziehen, sähe ihr Leben heute vielleicht anders aus, sie könnte eventuell symmetrisch töpfern und nicht nur so krumme Vasen einhändig, sie würde nicht so viele rechte Handschuhe unnötig im Schrank liegen haben! Ohne Sasha könnte sie sich endlich mal wieder die Hände reiben, aber so?
Hilde war ein unglückliches Mädchen. Ihre Schlagzeugausbildung hatte sie abbrechen müssen, so ganz ohne rechte Hand, da wollte sie keine Band haben. Beim Schwimmen wurde sie fast immer nur mehr disqualifiziert, da konnte sie schwimmen, so schnell sie wollte. »Mit beiden Händen anschlagen!«, brüllte es von der entnervten Betreuerbank. Leichter gesagt als getan! Sasha hatte ihr Leben zerstört. Und wenn sie ihn im Fernsehen bei »Bravo- TV « sah, dann rief sie: »Na, bravo! Und wieder kann ich nicht mit beiden Fäusten auf den Bildschirm schlagen!«
Hildes Freundin Hilde, der bei einem Rock-'n'-Roll-Akrobatik-Auftritt von ihrem Partner ein Bein ausgerissen worden war, war die Einzige, die Hilde wirklich verstehen konnte. Sie verstand die Rachegefühle ihrer Freundin. Zum Geburtstag schenkte sie ihr eine Eintrittskarte für ein Sasha-Konzert, hier sollte es zur großen Abrechnung kommen! Hilde kam rechtzeitig, um ganz vorne stehen zu können. Sasha betrat die Bühne. Er begann zu singen und wie immer Ausschau zu halten nach einem Mädchen, das er auf die Bühne ziehen konnte, sein Blick fiel auf Hilde. Er trat an den Bühnenrand, zog an ihrer Hand, die Hand riss ab, und Hilde konnte nur noch sehen, wie Sasha ihre Hand auf den Berg von Teddybären und anderen Händen warf. Tja, ab diesem Zeitpunkt war Hilde ein Teenager, der echt Scheiße drauf war.
Horst Franks letzte Rollschuhfahrt
Horst Frank arbeitete als Tunte am Praterstrich. Man nannte Horst dort »die Tintentunte«, denn er war immer so blau im Gesicht. Horst wurde von jedem verprügelt, der größer war als 1,52m. Diejenigen, die kleiner waren als 1,52m, verprügelten Horst aber auch. Horst hatte deswegen manchmal das Gefühl, er sei der Prügelknabe der Nation. Horst liebte seinen Beruf und nahm die Prügel in Kauf. Horst nahm Tabletten gegen die Prügel, es waren so Lutschtabletten, die nichts halfen, aber Horst schwor drauf. Eigentlich war Horst der Sohn einflussloser Eltern. Sein Vater war gelernter Kaninchenmasseur und seine Mutter katholische Arbeitsbrause, zwei Berufe, die völlig zu Recht in Vergessenheit geraten sind. Schon als Kind litt Horst unter Bettnässe, aber nicht seiner, sondern der seiner Mutter, die über ihm im Stockbett schlief. Kurz nach seiner Geburt hörte Horst Stimmen, es waren die seiner Eltern, trotzdem wurde er eingeliefert. Es war die schönste Zeit seines Lebens. Nach 30 Jahren wurde Horst mit 31 Jahren entlassen. Er war sehr groß und trug Schuheinlagen, die ihn kleiner machten. Am Praterstrich feierte Horst mit 38 Jahren Hochzeit, allein, ohne Gäste und Braut und so 'n Scheiß. Horst bot seinen Körper fremden Frauen an, die als Männer verkleidet waren. Sexualität war etwas, zu dem Horst »Nein!« schrie, weil er ein diskreter und eleganter Bursche war. Rollschuhfahren, ja Rollschuhfahren, das entsprach Horstens Elegance! Und so schnallte sich der 52jährige diese Rollen an, diese Rollen an die Füße und fuhr in ein anderes Leben, ein Leben, das es mit Horst, so hoffen wir, etwas besser meint.
Kopfarzt Dr. Brasiliana
»Ich«, sagt Kopfarzt Brasiliana immer, »bin Kopfarzt Brasiliana immer«, Kopfarzt Dr. Brasiliana, dieser brünette 82jährige Psychiater aus Ohio, wo er im Grandhotel »Excelsior« lebt und auch heute noch ordiniert. Der Mann ist eigentlich geistlicher Ballettänzer, ein Beruf, der heute praktisch ausgestorben ist, leider! Brasiliana wäre auch heute noch Ballettänzer, wäre ihm nicht im August 1917 ein Wunder widerfahren. Nach einer durchzechten Nacht mit dem schwedischen Einwanderer Ingemar Stenmark in der Bar »Ombudsmann« war er auf einmal Kopfarzt, mit weißem Mantel und so Sachen. Er verlor seine Identität, über Nacht, wie ein Handtuch seinen Preis, wenn es alt geworden ist. Eine Nacht lang weinte er wie ein Kolibri, also gar nicht, Vögel können ja nicht weinen. Es war ihm
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