Spektrum
und Gemüse verkaufte, und erstand gleich drei große, dickschalige Zitronen, auf Vorrat sozusagen. Darüber hinaus nahm er ein paar Äpfel und eine reife Avocado mit, für die er schon seit Langem eine Vorliebe hegte. Ein Bürger, der sich für Birnen interessierte, trat höflich zur Seite – offenbar stand er vor einer schweren, sich lang hinziehenden Wahl.
Auf dem Rückweg stopfte er die Korrespondenz, die sich in seinem Briefkasten angesammelt hatte, in die Obsttüte. Damit konnte er sich in seiner Freizeit auseinander setzen.
Er spülte eine Zitrone unter laufendem Wasser ab, übergoss sie mit kochendem, schnitt sie in feine Scheiben und bestäubte sie mit dem Zucker-Kaffee-Gemisch. Einige Ästheten empfahlen, die harmonische Verbindung aus sauren, süßen und bitteren Komponenten noch um eine salzige Nuance zu ergänzen und eine hauchfeine Prise Salz oder einen winzigen Klecks Kaviar hinzuzugeben. Martin indes hielt dies für ebenso überflüssig wie maßlos.
Damit konnten die Vorbereitungen für das einsame Besäufnis als abgeschlossen gelten.
Martin nahm im Sessel vor dem Fernseher Platz, schaltete einen kleinen Kanal ein, der auf alte Kinofilme spezialisiert war, und dämpfte den Ton. Auf dem Couchtisch hatte er bereits die offene Kognakflasche und ein Schälchen mit den Nikolaschkas, seine Pfeife, einen Aschenbecher, ein Feuerzeug und den Tabakbeutel arrangiert. Auch sein Telefon lag griffbereit, damit er nicht aufspringen musste, falls es plötzlich jemandem einfiele, ihn anzurufen. Daneben stapelte sich die Post aus der Tüte. Den Boden eines bauchigen Glases bedeckte er mit dreißig Gramm Kognak, schwenkte das Gefäß und inhalierte das Aroma.
Der Duft versprach einen angenehmen Abend vor dem Fernseher. Der Duft versprach ein gutes, bereits gelesenes Buch, das er auf gut Glück aus dem Bücherregal nahm, möglicherweise sogar eine weitere Flasche und tiefen Schlaf.
Was also sollten dann diese schmerzlichen Grübeleien über vier tote und drei lebende junge Frauen?!
»Getäuscht hast du mich, Onkelchen …«, knurrte Martin. »An der Nase hast du mich herumgeführt …«
Gleichwohl trank er den Kognak genussvoll. Er krächzte, sondierte beunruhigt den Nachgeschmack.
Nein, er wollte nichts auf den Kognak nachtrinken. Alles war in Ordnung. Der Alkohol hatte nicht weniger als fünf Jahre gelagert … Das war das, was Martin von Kognak verlangte.
»Schön, schön«, befand Martin großmütig, während er seine Pfeife stopfte. Der Tabak im Beutel war vertrocknet, und zwar so richtig. Eigentlich sollte er ein neues Päckchen anfangen und dieses befeuchten, doch heute wollte Martin sich keine Umstände machen. Das Feuerzeug spie eine Flammenzunge aus, ein Geruch nach Honig und Kirsch entfaltete sich. »Na gut …«
Mit diesen Worten goss Martin sich ein zweites Glas Kognak ein. Während er ihm Zeit ließ, sich zu erwärmen und zu atmen, machte er sich über den Poststapel her.
Die Hälfte warf er weg, kaum dass er einen Blick auf den Umschlag geworfen hatte: Werbung, wenn auch gemäß der gegenwärtigen Mode persönlich adressiert. Doch das geschulte Auge unterschied problemlos das Handschriftprogramm eines Computers von Umschlägen, die tatsächlich ein Mensch beschriftet hatte. Martin wusste, was diese Briefe enthielten: halbe Seiten mit warmherzigem und sinnfreiem Sermon, der ihn dazu bringen wollte, sich alle ihm bekannten Frauen durch den Kopf gehen zu lassen, und wie folgt schloss: »… übrigens ist mir kürzlich ein erstaunliches Geschenk gemacht worden, eine Minibiosphäre, ein winziges Terrarium mit echten Spinnen. Es sieht wunderbar aus und kostet nicht viel. Bestellen kann man es …«
Auch einige Rechnungen waren darunter, die Martin klugerweise für eine spätere Beschäftigung aussortierte, um sich jetzt die Stimmung nicht zu verderben. Zwei Postkarten und ein Brief von Leuten, die er wirklich kannte. Was sich in zwei Wochen doch nicht alles ansammelt!
Schließlich ein Brief, den er beinahe zusammen mit der Reklame in den Müll geworfen hätte.
Anstelle der Absenderin stand nur ein Namen: Irina.
In seiner Brust heulte es quälend auf. Martin stürzte das zweite Glas Kognak herunter, ohne den Geschmack auch nur im Geringsten wahrzunehmen, und inspizierte den Umschlag aufmerksam. Obschon er Irinas Tagebuch gelesen hatte, erinnerte er sich nur vage an ihre Handschrift.
Die Adresse! Die Adresse war von einer anderen Hand geschrieben. Eine seltsame Schrift, gleichsam als
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