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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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fein geriebenem Wachtelei gestukt, wäre die Demütigung entschieden harmloser gewesen.
    »Nimm’s nicht übel«, bat Juri Sergejewitsch. »Das stammt noch aus der Zeit vor mir …«
    »Hättest du denn einen anderen Namen gewählt?«, fragte Martin.
    »Eine ehrliche Antwort?«, wollte der Geheimdienstler wissen.
    Martin schüttelte den Kopf und starrte auf seinen Teller – diesen großen, matt glänzenden, weißen Teller von runder Form.
    »Was spielt es schon für eine Rolle, welchen Namen man uns gibt?«, bemerkte der Geheimdienstmann. »Viel wichtiger ist doch, wie wir uns selbst nennen. Wenn wir allein sind, wenn nur Gott und der Teufel uns hören können …«
    Martin hob den Blick und sah Juri Sergejewitsch an. »Bist du sicher, dass es in deiner Sippe keine Schließer gibt?«, fragte er.
    »Es gibt einen Psychiater, eine Pfaffen, einen betrügerischen Buchhalter …«, fing Juri Sergejewitsch an aufzuzählen. »Der Psychiater war übrigens Alkoholiker, den Pfaffen hat man auf seine alten Tage des Amts enthoben … irgendwie hatten meine Vorfahren kein Glück. Wie sich’s gehört, gibt es auch einen Tataren und einen Juden. Vor hundert Jahren soll sogar ein Angehöriger des Lettischen Roten Schützenregiments dazwischen gewesen sein … Aber Schließer gab es keine.«
    »Und wie würdest du dein eigenes Dossier nennen?« Martin musste unwillkürlich lächeln.
    »Specht«, antwortete Juri Sergejewitsch, ohne auch nur darüber nachzudenken. »Weil ich unermüdlich auf einen Punkt einhaue. Manchmal gelange ich damit an eine schmackhafte Larve. Häufiger jedoch an Mulm.«
    Akkurat schnitt er seine Haxe, ebenso sorgsam spießte er es auf. Er kaute und sagte: »Es ist lecker, Ehrenwort. Vielen Dank. Snob zu sein stellt eine höchst angenehme Beschäftigung dar.«
    »Glaubst du etwa, ich musste noch nie hungern oder mir den letzten Zwieback für drei Tage einteilen?«, blaffte Martin. »Wasser aus einer Pfütze trinken oder Gemüse essen, das dir eine Woche lang Durchfall beschert, falls du nicht gleich daran krepierst?«
    »Ist mir alles bekannt«, sagte Juri Sergejewitsch nur. »Ich habe dir ja schon gesagt, ich hätte auf das Dossier nicht Snob geschrieben.«
    »Sondern?«
    »Dandy.«
    Martin zuckte mit den Schultern.
    »Gentleman wäre zu lang. Außerdem wird das Wort inzwischen inflationär gebraucht«, setzte ihm Juri Sergejewitsch auseinander. »Ein englischer Dandy lief längst nicht immer im Frack herum. Wenn es sein musste, fuhr er nach Indien und holte sich zum Ruhme der Königin eine Malaria. Wenn es sein musste, hatte alles comme il faut zu sein, wenn es sein musste, fürchtete er weder Schweiß noch Blut … oder Wasser aus einer Pfütze … Weißt du, was comme il faut bedeutet?«
    Martin nickte.
    »Unsere russische Krankheit«, wechselte der Geheimdienstler unvermittelt zu hohen Themen über, »besteht nun einmal darin, dass wir zu Extremen neigen. Entweder ist jemand ein ungewaschener, beschränkter Kraftmeier, der ein mehrtägiges Besäufnis hinter sich hat und aus dem Mund stinkt, oder jemand ist ein selbstzufriedener Neureicher, der fürchtet, sich die Finger schmutzig zu machen, und jeden Arbeiter und Bauern verachtet. Europa dagegen hat schon vor langer Zeit verstanden, dass man als Gentleman auftritt, sobald sich die geringste Möglichkeit bietet, es jedoch unterlässt, wenn man keine Möglichkeit hat. Nur so konnten die geschickten englischen Gentlemen ein derart großes Imperium aufbauen …«
    »Ein Gentleman westlich von Suez ist nicht für das verantwortlich, was ein Gentleman östlich von Suez tut …«, murmelte Martin.
    »Eben!« Juri Sergejewitsch erstrahlte. »Das mag zynisch klingen, aber es ist die Wahrheit. Die Welt ist zu vielfältig, als dass sie unveränderlich wäre. Wir haben nicht das Recht, so starr zu sein! Das haben wir unseren großen Schriftstellern aus dem 19. Jahrhundert zu verdanken, diesen Geistesriesen, Dostojewski und Tolstoi, Kuprin und Bunin … die Reihe ließe sich fortsetzen. Wenn wir uns schon für den Humanismus entscheiden, kennt unser Verzeihen keine Grenzen. Wenn wir schon Gerechtigkeit wählen, dann unverzüglich, sofort und für alle. Die Köchin wird zur gnädigen Frau … Dabei hat schon Alexander Puschkin davor gewarnt, wohin die Experimente mit der Befriedigung der Wünsche einer Köchin führen … Nein! Sie wollten das Paradies auf Erden errichten – und bekamen den Kommunismus. Sie verdarben sowohl die herrschenden Klassen als auch die

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