Spektrum
muskulöse Straußenbeine zugelegt hatten, so sahen die Kleinen plüschig und fragil wie Kücken aus. Ihre Flügel wirkten kräftiger als bei den Erwachsenen, und zwar nicht nur relativ, sondern auch absolut. Ob die Vogeljungen noch fliegen konnten? Dagegen sprangen die Schnäbel kaum aus dem Gesicht hervor, anscheinend wuchsen sie erst, nachdem die Geschlechtsreife erreicht war.
Außerdem bekundeten die jungen Schealier offen ihr lebhaftes Interesse an Martin. Sie knäulten sich zu einem Grüppchen, lärmten und zirpten, wobei sie sich darüber hinaus behalfen, indem sie bisweilen mit den Flügeln gestikulierten. Die Gelegenheit beim Schopfe packend, betrachtete Martin sie mit ebenso unverhohlener Neugier.
Das Interessanteste an ihrem Äußeren waren wohl die Flügel. Es widerstrebte ihm, die Tiere als Handflügler zu bezeichnen, denn dieses Wort ließ sogleich an Fledermäuse denken. Die Schealier verfügten über zwei Hände an jedem Flügel, die hintere war schwächer entwickelt – einige Vögel handhabten jedoch auch sie sehr geschickt –, während die vordere an eine normale Menschenhand erinnerte und federlos war. Die elastischen Flügel der Jungen bedeckten lange Schwungfedern, die bei den erwachsenen Individuen fehlten. Die schlappernde Flughaut verlieh dem Flügel das Aussehen einer Hand in einem zu weiten Ärmel.
Vermutlich fielen die Schwungfedern mit dem Alter aus. Oder rupften die Vögel sie sich aus? Zum Beispiel während des ersten Paarungsrituals? Bildete das die Scheide zwischen Kindheit und Jugend – ergänzt noch um Arbeitsfähigkeit, Verantwortung und Takt?
Martin entging nicht, dass er gerade das Fahrrad zum zweiten Mal erfand. Er brauchte nur ein Nachschlagewerk zu konsultieren und alles nachzulesen, dürften die wichtigsten Rituale der Schealier doch längst beschrieben sein. Aber sein Palm, in dem er einige Fakten über Scheali, Talisman und andere Planeten der Galaxis abgespeichert hatte, lag im Hotel. Was sollte er jetzt auch mit diesen überflüssigen Informationen anfangen?
Freilich, Informationen sind niemals überflüssig. Insbesondere nicht in Anbetracht der Aufgabe, die ihm die Schließer gestellt hatten. »Vollbringe das, was …« Nachher würde er sich seine Dateien ansehen müssen.
Aus dem zwitschernden Schwarm von Schealiern löste sich ein Junges heraus. Angefeuert vom Gepiepse seiner Freunde, näherte es sich Martin. Mit zarter Stimme brachte es etwas hervor.
»Tut mir leid, ich verstehe eure Sprache nicht«, teilte Martin würdevoll mit und lächelte – ein sehr akkurates Lächeln, das die Zähne nicht freigab, da viele Rassen ein offenes Lachen für eine Drohung hielten.
Vorsichtshalber wiederholte er seine Worte in touristischer Gebärdensprache.
Das Vogeljunge blickte zu seinen Kameraden zurück, die es fraglos ermunterten, das Gespräch fortzusetzen. Indem das Junge ein wenig in die Hocke ging, stellte es zwar ungeschickt und radebrechend, doch völlig verständlich in touristischer Gebärdensprache dar: »Sprechen Sie Touristisch?«
»Ja«, antworte Martin. Sachen gab’s!. »Hast du dir die Sprache selbst beigebracht?«
»Ich habe die Sprache im Ei gelernt. Meine Mama ist durch das Tor gegangen.« Als die Unterhaltung in Gang kam, gewann der Vogel an Sicherheit. Er näherte sich. Oder war es eine sie?
»Bist du eine kleine Frau?«, fragte Martin.
»Ich bin ein Mädchen«, antwortete das Vogelkind stolz. »Ich habe nur wenig Praxis und spreche schlecht. Könnte ich mich mit Ihnen ein Weilchen unterhalten? Dann verbessere ich meine Sprache.«
»Gewiss«, erwiderte Martin. »Möchtest du dich setzen?.«
»Ja.«
Unsicher erkletterte das Vogeljunge die Bank. Es setzte sich aufrecht hin, nicht ganz wie ein Mensch, aber auch nicht wie ein erwachsener Schealier. Seine Freunde langweilten sich offenkundig, denn das in Gebärdensprache geführte Gespräch blieb ihnen unverständlich. Auffordernd redeten sie auf das Vogeljunge ein, das jedoch zur Antwort etwas zirpte, worauf die anderen Kinder mit unverhohlener Enttäuschung abzogen.
Lächelnd sah Martin das »Mädchen« an, ihren gesträubten gelb-grünen Schopf. Es lag ihm schon auf der Zunge zu sagen: schüchtern gesträubt. »Wie heißt du?«, fragte er.
»Ich habe noch keinen Namen. Ich bin ja noch ein Mädchen.«
»Unsere Mädchen tragen von Geburt an einen Namen«, erklärte Martin.
»Und die Jungen?«
»Die auch.«
Das Vogelkind dachte nach. »Du kannst mich einfach Mädchen nennen«, gestikulierte
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