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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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bin mir nicht sicher, dass er auf dem Planeten der Aranker endet.«
    »Fahnen … Schlösser … Burgmauern und tiefe Gräben …«, murmelte der Schließer. »Es ist nicht schlimm, wenn es keine Fahne gibt. Wichtiger ist, dass du sie suchst.«
    Martin wartete kurz, doch der Schließer schwieg. Daraufhin nickte Martin noch einmal und wandte sich zur Tür.
    »Wir wissen von einer einzigen Rasse in der Galaxis, die keine Banner braucht«, fuhr der Schließer überraschend fort. »Die Aranker, diese hochintelligenten und in jeder Hinsicht angenehmen Wesen. Doch sie vermögen sich unter dem Ausdruck ›Sinn des Lebens‹ nichts vorzustellen. Sie haben keine Religion, ja, nicht einmal einen Gottesbegriff. Ihnen eignen Selbsterhaltungsinstinkte, doch den Tod fürchten sie nicht. Sie verfügen über einen ausgezeichneten Sinn für Humor, sind human, neugierig und umgänglich. Aber kein einziger Vertreter dieser Rasse stellt die Frage, worin der Sinn des Leben besteht. Niemals. Die Vorstellung selbst halten sie für ein interessantes Phänomen, das anderen intelligenten Lebensformen eigen ist, sie selbst entwickeln aber keine Komplexe wegen dieses Mangels … oder dieser Einmaligkeit.« Einen Moment lang verstummte der Schließer, bevor er fortfuhr: »Und in den Fenstern ihrer Häuser gibt es keine Vorhänge.«
    Ein paar Minuten blieb Martin noch an der Tür stehen, doch der Schließer brachte kein einziges Wort mehr hervor.
     
    Die Badewanne ist eine großartige Erfindung.
    Fast eine Stunde lag Martin in dem steinernen Becken, ließ bisweilen heißes Wasser nachlaufen, stellte mal die Massage ein oder bespritzte sich aus einer Düse mit kaltem Wasser, das angenehm auf dem eingeweichten Körper kribbelte. Im Zimmer hatte er einige Bücher entdeckt, die eine gute Seele hier zurückgelassen hatte. Ein Band von Stevenson auf Französisch und die Dunklen Alleen auf Englisch. Sich über die seltsame Kombination wundernd, hatte Martin sich für den Bunin entschieden. Auf Englisch las sich Bunin nicht gut, doch die nach Buchstaben gierenden Augen freuten sich trotzdem.
    Die Worte des Schließers beunruhigten Martin, ja, teilweise verwirrten sie ihn sogar. Bereits früher hatte er von der einzigartigen Psychologie der Aranker gehört, die geringe Erfahrung im Umgang mit dieser Rasse hatte ihn indes nie auf den Gedanken gebracht, sie könnte an einem Mangel leiden. Jedes intelligente Wesen stellte die Frage nach dem Sinn des Lebens. So wie jedem intelligenten Wesen ein mehr oder minder stark ausgeprägtes religiöses Gefühl eignete. Wie konnte man leben, ohne ein Ziel zu haben? Ohne im Leben einen globalen, universellen Sinn zu sehen?
    Martin grübelte recht lange über dieses Thema nach. Er versuchte sogar, für sich den Sinn des Lebens zu finden, was ihm prompt eine Depression eintrug. Schließlich konnte der Sinn seines Lebens doch wohl kaum in kulinarischen Raffinessen liegen! Oder in den Reisen durch die Galaxis mit Hilfe der von Schließern freundlicherweise zur Verfügung gestellten Großen Tore! Vielleicht in der Liebe? Gegenwärtig war Martin freilich nicht verliebt – und das behagte ihm durchaus. Lag der Sinn des Lebens etwa in der Ruhmsucht, in dem Wunsch, noch in Jahrhunderten bekannt zu sein? Dafür musste man freilich entweder ein echtes Genie oder ein selbstverliebter Schwachkopf sein, der von seiner Genialität überzeugt war. Im ewigen Leben, wie es die Religion versprach? Doch Martin, obwohl er sich für einen gläubigen Menschen hielt, stand dieser Aussicht höchst skeptisch gegenüber. In Bezug auf seine eigene Frömmigkeit hegte er tiefe Zweifel, und auch was den Erhalt der eigenen Persönlichkeit im Jenseits anging, nährte er keine allzu großen Hoffnungen, versprachen doch alle Religionen – wenn man einmal von den süßlichen Entwürfen zum Paradies aus dem Mittelalter absah – nur die Auflösung im Absoluten, wie auch immer die sich vollziehen mochte.
    Insofern konnte Martin den Sinn der eigenen Existenz nicht formulieren – im Gegenteil, er verspürte einen brennenden Neid auf die Aranker, die von vergleichbaren Qualen verschont blieben. Das hatten sie nicht schlecht eingerichtet! Ob sie vielleicht deshalb als die am höchsten entwickelte Rasse nach den Schließern galten?
    Am Ende gab Martin das unfruchtbare Philosophieren auf, entstieg der Wanne, wickelte sich kurz in ein Handtuch und setzte sich dann unbekleidet an den Tisch, damit sein Körper sich erholte und weiter trocknete. Ein Blatt Papier,

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