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Spektrum

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Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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schmutzige Unterwäsche weg, die er nicht in der Hoffnung mitschleppen wollte, eine Wäscherei zu finden. Er fragte sich, ob er ein paar Stunden schlafen sollte, um die fehlende Nachtruhe zu kompensieren, doch anscheinend brodelte ausreichend Adrenalin in seinem Blut: schlafen wollte er überhaupt nicht.
    So ging er denn zum Tor.

Dritter Teil
    Gelb

Prolog
     
    Erkundet ein Mensch sich selbst, wird er, ob es ihm schmeckt oder nicht, manch kleinen Fehler an sich entdecken, manch Schwäche und Ventil, durch das die Sorgen des Alltags entweichen. Ein gestrenger Politiker, der sich in Intrigen und Verrat verstrickt hat, züchtet Fische und weint, wenn sie an Flossenfäule erkranken. Ein ausgemachter Don Juan hütet das Foto einer Klassenkameradin, die ihn nie eines Blickes gewürdigt hat, wie seinen Augapfel. Ein grantiger Misanthrop kann an der Wiege mit einem Neugeborenen gar nicht mit seinem »Dutzi, dutzi« aufhören, und ein langweiliger unauffälliger Mensch entdeckt in sich unvermutet ein profundes Wissen zur uighurischen Kultur oder zum Kunsthandwerk in Indonesien.
    Seine Neigung zu schmackhaftem Essen stufte Martin nur bedingt als Schwachpunkt ein. Gut zu speisen lieben alle. Selbst ein heiliger Mensch, der sein ganzes Leben wie ein Eremit zubringt und sein Fleisch mit einer Kost aus Brot und Wasser kasteit, vergießt im Angesicht des Todes Tränen und beichtet: Die Sünde der Völlerei habe er auf sich geladen, denn er habe Brot aus Roggen jenem aus Weizen und das Wasser aus der Quelle jenem aus dem Fluss vorgezogen …
    Für einen Heiligen hielt Martin sich nicht, sich zu kasteien war ihm nie in den Sinn gekommen, und sein geliebtes Hobby pflegte er mit Vergnügen. Von seinen Reisen brachte er nicht nur Eindrücke und Filmrollen mit – Digitalkameras bedeuteten letztendlich nichts anderes als eine Profanisierung der Kunst; um einen Moment zu konservieren, taugt nur Silber –, sondern auch einen Schatz an Rezepten.
    Die asiatische Küche, selbst die viel gerühmte chinesische, schätzte Martin nicht sonderlich, kapitulierte lediglich bedingungslos bei Peking-Ente und Huhn mit Orangensoße. Unüberwindbare Zweifel rief die amerikanische Küche hervor, der viel gerühmte Truthahn in Schokoladensoße, die sprichwörtlich gewordenen Pancakes mit Ahornsirup und jener Cocktail aus Phenylalanin und Phosphorsäure, der sich mit der Bezeichnung Cola tarnte. Der mexikanischen Küche brachte Martin größeres Wohlwollen entgegen und kochte bisweilen Fleisch mit Mandeln oder Avocado.
    Den kulinarischen Gipfel sah Martin indes in der europäischen Küche, zu der er großherzig die russische samt der sibirischen und der fernöstlichen hinzuzählte. Was konnte sich, um nur einmal dieses Beispiel zu nehmen, schon mit echtem ungarischem Gulasch messen? Und zwar nicht mit jenem traurigen Gemisch aus Kartoffeln und Fleisch, das man in einem russischen Restaurant als solches verkaufte, sondern mit der dicken scharfen Suppe, die, getränkt mit den Aromen von Paprika und Peperoni, den Mund verbrennt und den Körper wärmt?
    Daher stutzte Martin, sobald er auf Arank aus Station 6 herauskam, schnupperte und schaute sich um. Das war nicht der Geruch einer fremden Welt, der seine Nase erstaunte, zumal er Arank bereits besucht hatte. Nein, in der Luft lag ohne Zweifel der Duft von Paprika!
    Station 6 befand sich im Zentrum einer der größten Städte, ja, wenn man die Maßstäbe der Menschen anlegte, handelte es sich dabei im Grunde um die gesamtplanetare Hauptstadt. Die Station rahmten Hochhäuser mit den üblichen, mehr oder weniger irdischen Konturen. Durch die Luft glitten lautlos und gleichmäßig winzige Flugapparate. Die Gehsteige zogen unter den Füßen dahin und brachten die zahllosen Passanten an ihren jeweiligen Bestimmungsort. Kurzum, die Stadt der Aranker sah aus wie der Traum eines Futuristen von der Erde, rief die sowjetische Science Fiction der 1960er Jahre in Erinnerung und versenkte den Betrachter in Träume von Raumschiffen, dem Großen Ring und der Welt des Mittags.
    Im Moment fesselte Martin jedoch keinesfalls die außerirdische Schönheit. Er drehte sich nicht einmal zur Station zurück, einem Bauwerk ganz in der arankischen Tradition, geschaffen aus Metall, Glas und Beton. Pflichtgemäß brachte Martin die schnelle und höfliche Grenzkontrolle hinter sich. Der arankische Polizist knallte ihm ein Visum in den Pass – den Arankern gefiel es ausnehmend gut, Grenzer zu spielen – und stopfte lächelnd jeweils

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