SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)
besitzt.
Die Dunkelheit kommt früh und der Wind von allen Seiten. Krähen schrecken auf, fliegen in den Indigo-Himmel, ihr Krächzen sticht in den Ohren.
Auf dem Platz vor der Polizeiwache stehen 115 Gefangene. Schilder hängen dort, für jedes Haus eines. Dahinter sammeln sie sich in Reihen, lachen und schubsen sich.
Einer ist hier, mit dem machst du keine Scherze, den schaust du nicht schief an, da hältst du Abstand, so sagen sie es jedem Neuen. Thorstein Hanssen (Name geändert), 31, steht breitbeinig, verlagert sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Er trägt graue Jogginghosen, auf seinen schmalen Hüften sitzt ein Gewichthebergürtel.
Ein Hochgewachsener in Uniform ruft die Gefangenen beim Namen.
"Jorgen? Muhammad? Peter?"
"Leider", antwortet einer.
Thorstein sagt: "Jeder weiß, wer ich bin."
Sie nannten ihn den Militär, er war einer ihrer Anführer, der beste Kämpfer von "Blood and Honour" in Norwegen. Auf Thorsteins Händen steht das Wort Skinhead, er will es entfernen lassen, wenn er hier rauskommt. Es sei schlecht gemacht. Den Schädel hat er kahlrasiert, nur vom Kinn steht das rote Haar.
Er hat einen schwarzen Jungen umgebracht. "Die Hautfarbe war nicht der Grund", sagt Thorstein, "wir wollten nur unser Eigentum verteidigen."
"Ich habe nicht zugestochen, nur der andere", sagt Thorstein. Der Junge habe noch geatmet, als sie gingen.
Sie hätten sich mit White-Power-Musik in Stimmung gebracht, schrieben die Zeitungen. Sie hätten ein Opfer gesucht und gefunden im Parkhaus eines Einkaufszentrums. Benjamin H., 15-jährig, Sohn eines Ghanaers, getötet durch die Messerstiche zweier verschiedener Klingen. Der Mord war geplant, feige und brutal, sagte das Gericht. 18 Jahre bekam Thorstein, damals war er 22.
Sein Zimmer ist aufgeräumt. Geblümte Laken, ein Bett, ein Schreibtisch, ein Fenster mit bunten Vorhängen, wie bei den anderen. Aber Familienfotos hängen hier nicht, und auf dem Nachtkästchen liegen keine Herrenmagazine. Nur Bücher. Thorstein studiert Geschichte und Philosophie an der Universität von Oslo. Seine Prüfungen macht er über das Internet.
Thorstein darf studieren auf Bastøy, aber er muss auch etwas für die Gemeinschaft tun. Jeden Tag fegt er die WG, wischt den Staub vom Boden und von den Regalen. Dann geht er zurück in sein Zimmer.
Er lese so viel wie möglich, vom Sturm auf die Bastille bis zum "Dritten Reich". Thorstein will immer noch kämpfen, gegen die Globalisierung, für die Trennung der Völker und Kulturen, für diese wirre Idee, die er einen "ganzheitlichen Faschismus" nennt. Er sagt, er wolle jetzt nur noch mit Worten kämpfen.
Wärme strömt aus dem Ofen und der Duft frischen Brotes. Thorstein hat gebacken. Vollkornmehl muss es sein, dazu Sonnenblumenkerne und Hefe. Er greift nach einem schweren Messer, schneidet zwei fingerdicke Scheiben herunter. "Ich mag keine Messer", sagt er.
Die anderen in der WG haben Eier gebraten und Lachs aus dem Supermarkt. Thorstein isst auf seinem Zimmer.
"Ich bin von einer Zelle in die andere gezogen", sagt er, 90 Prozent seiner Zeit verbringe er allein. Neun Jahre lang saß er im Hochsicherheitsgefängnis, ein Jahr davon in Isolation. Sein Blick verschwimmt, wenn er davon spricht. Eine Therapie macht er nicht. "Ich hatte eine glückliche Kindheit", sagt er und grinst.
Thorsteins Vater war ein erfolgreicher Spediteur, seine Mutter Sozialarbeiterin. Seine Eltern sind verheiratet, glücklich, sagt er. Noch immer lieben sie ihren Sohn, aber verstanden haben sie ihn noch nie.
Als Kind wollte Thorstein zum Militär, für sein Land in den Krieg ziehen, mit anderen verschmelzen zum Kollektiv. Mit 17 Jahren ging er zur Musterung, wollte Berufssoldat werden. Er sprach von seinen rechten Visionen, man stufte ihn als Sicherheitsrisiko ein.
Nun lebt er auf Bastøy, zusammen mit Menschen aus 20 verschiedenen Nationen, mit Pakistanern, Äthiopiern, Indern und Iranern. "Wir kommen klar", sagt Thorstein, "wir respektieren uns." Viermal hat er sich beworben für die Insel, er musste kämpfen, um hierher zu dürfen. "Für mich ist es gut, dass wir solche Gefängnisse haben", sagt er. Er profitiere davon, doch sein Weltbild habe sich nicht geändert. Eigentlich sei er für härtere Strafen, denn anders könne eine Gesellschaft nicht funktionieren.
Wenn Thorstein entlassen wird, in ein paar Jahren, möchte er Sozialforscher sein. Um seine Arbeit zu finanzieren, will er auf einer Bohrinsel anheuern. Immer ein paar Monate hier, ein
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