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SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

Titel: SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Mascolo
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Telefonhäuschen, er stampft über den gefrorenen Boden, die Wolken sind dick wie Qualm. Er hat angerufen. Sie kommt nicht. Sie ist krank, zum ersten Mal in zwei Jahren. Er wird heute kein Thai-Huhn kochen, nicht rotwangig lächeln und kein buntgestreiftes Poloshirt tragen.
    Jorgen sagt, die große Welt interessiere ihn nicht mehr. Wichtig sei nur noch die Familie.
    Würde jemand die Familie bedrohen, er könne für nichts garantieren. Denn ein Mann muss seine Familie beschützen. Wenn sie nachts kommen, muss er vorbereitet sein. Jorgen denkt, er wird sich eine Waffe anschaffen müssen.
    Eine Pferdekutsche rollt vom Ufer ins Dorf. Pappeln säumen den Weg, recken ihre klumpigen Äste ins Nebelgrau.
    Wenn das Eis auf dem Wasser dick genug ist, wollen sie ein Loch hineinschlagen, Thorstein, Jorgen und die anderen. Thorstein wird darin schwimmen, zum ersten Mal seit neun Jahren. Sein weißhäutiger Körper wird in das Wasser gleiten, der Herzschlag schneller, die Atmung kürzer als sonst.
    "Alles völlig surreal", sagt Thorstein und blinzelt mit hellen Wimpern.
    Vor kurzem erst jährte sich sein Mord zum zehnten Mal. Da bildeten die Leute auf dem Festland wieder Lichterketten, demonstrierten gegen Rassismus, wie damals nach jenem blutigen Wintertag, der sich einbohrte wie ein Widerhaken in die Seele der Nation.
    Einmal hatte Thorstein Freigang und fuhr in einem Bus. Er hatte sich gefragt, ob sie ihn bemerken würden, ob sie mit dem Finger auf ihn zeigen würden oder schnell wegsehen. "Niemand hat mich erkannt", sagt er. Und er ist sich nicht sicher. Aber vielleicht findet er es doch gut. "Ich werde nie wieder rückfällig", sagt er.
    Wenn er hier rauskommt, will er endlich etwas erleben. In seinem Zimmer hängt eine Weltkarte, nach Athen will er reisen, nach Italien und an tausend andere Orte.
    Wenn er hier rauskommt, will er nicht mehr in einer Großstadt leben. Weil die Menschen in der Großstadt keine Verbindung haben zueinander. Er möchte in einem Dorf wohnen, wie auf Bastøy.
    Raymond sitzt auf einem Baumstumpf vor der Wache und lächelt. Er hat einen Antrag ausgefüllt, gestern Abend noch. Bald werden sie ihn holen. Sie werden ihn auf die kleine Fähre bringen und mit dem Wagen in das Gefängnis von Tønsberg fahren. Ein Zaun wird ihn begrüßen, darauf Stacheldraht. Das metallene Gittertor wird sich für ihn öffnen. Sie werden ihn in Trakt A bringen. 23 Stunden am Tag wird er in seiner Zelle verbringen, vor dem Fenster Gitterstäbe und Plexiglas.
    Dort wird er frühstücken, zu Mittag und zu Abend essen. Er wird sich amerikanische Krimiserien ansehen, die er schon kennt.
    Vielleicht wird er einen Brief an seine Mutter schreiben.
    Eine Stunde am Tag wird er im Hof auf und ab gehen. In ein paar Wochen wird er drei Stunden täglich die Schule besuchen, in Trakt B.
    Wenn er zur Toilette will, wird er klingeln müssen. Sie werden ihn dorthin begleiten und zurück in seine Zelle.
    Die schwere Eisentür werden sie hinter ihm zuschließen. Raymond wird auf sein Bett fallen und erleichtert sein. Er wird sich frei fühlen.
    Sie werden ihn bewachen. Er muss nicht selbst sein Wächter sein.
    Drei Tage hat er durchgehalten im liberalsten Knast der Welt.
    Veröffentlicht in DER SPIEGEL 6/2011

Das SPIEGEL-Autorenteam Ferry Batzoglou, Manfred Ertel, Ullrich Fichtner, Hauke Goos, Ralf Hoppe, Thomas Hüetlin, Guido Mingels, Christian Reiermann, Cordt Schnibben, Christoph Schult, Thomas Schulz und Alexander Smoltczyk wurde mit dem Henri-Nannen-Preis 2012 in der Kategorie "Dokumentation" ausgezeichnet.
Eine Bombenidee
    Wie kann es passieren, dass die Schulden eines kleinen Landes einen ganzen Kontinent ins Wanken bringen? Das griechische Drama legt offen, warum der Euro zur gefährlichsten Währung der Welt geworden ist: auf Schulden und Schwindel gebaut, ohne Fundament und Führung. Die Geschichte einer guten Idee, die zur Tragödie wird.
    Bevor Horst Reichenbach einen Fuß auf Athener Boden gesetzt hat, wissen die Griechen schon, wer da landet. Von "Horst Wessel" haben sie in ihren Medien gelesen, vom "Dritten Reichenbach" gehört, der mit seinem Team von "30 Gau-Leitern" einmarschiere.
    Die Taxifahrer am Flughafen streiken; vor dem Parlamentsgebäude stehen Hunderte von ihnen und rufen ihre Parolen; einer trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: "Ich brauche keinen Sex, die Regierung fickt mich jeden Tag" – Horst Reichenbach merkt in den ersten Stunden, er ist in einem Notstandsgebiet gelandet.
    Reichenbach ist Leiter der

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