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Task Force, die von der EU-Kommission nach Athen geschickt wurde, um "technische Hilfe" zu leisten bei der Umsetzung nötiger Reformen, so heißt das im Brüsseler Jargon. Für griechische Medien ist die Task Force die Vorhut einer Invasionstruppe: Jetzt kommen die Bürokraten, um das schöne Griechenland in eine deutsche Kolonie zu verwandeln.
Reichenbach beschreibt es so: Neuordnung des Steuerwesens, Verschlankung der Verwaltung, Beschleunigung der Privatisierung, Stärkung der Rechtssicherheit, Öffnung geschützter Berufsgruppen, Umgestaltung von Energie- und Gesundheitssektor, Abbau von investitionsfeindlichen Strukturen. Man müsse dabei "eher in Jahren rechnen als in Monaten", sagt Reichenbach. Er war Vizepräsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und wollte eigentlich Ende Dezember in Pension gehen. Aber dann rief EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso an und schickte ihn auf diese Mission Impossible.
Seine Reise wird begleitet von flehenden Warnungen aus aller Welt, es ist so, als würden Amerikaner, Chinesen, Brasilianer, Inder ängstlich auf das kleine Land im Südosten Europas starren und eine Lösung herbeisehnen. Es ist so, als ob die US-Konjunktur und die Weltkonjunktur bestimmt werden von guten oder schlechten Nachrichten aus Athen.
In den ersten drei Tagen will Reichenbach ein knappes Dutzend griechische Minister treffen mit lauter schwierigen Namen, Papaconstantinou, Diamantopoulou, Xenogiannakopoulou, dazu Diplomaten, Oppositionsvertreter und weitere Akteure der griechischen Tragödie.
Auf dem Weg zum Finanzminister, im 6. Stock des Ministeriums, geht er vorbei an Bildern antiker Helden, hier ein brüchiger Kentaur, dort Ikarus im Sturzflug. Man kann jetzt überall böse Omen sehen, wenn man will, aber Reichenbach will Hoffnung verbreiten. Als Mutmacher ist er gekommen, auch wenn sein Optimismus in Sätzen gipfelt wie diesem: "Ich glaube ja, dass man Erfolg haben kann."
Er ist der Vermittler zwischen dem einen Europa und dem anderen, zwischen dem Norden und dem Süden. Der Euro war gedacht als Währung, die Europa zusammenwachsen lässt, aber die erste große Krise des Euro treibt den Norden und den Süden, die Mark-Wirtschaft und die Lire-Wirtschaft gegeneinander. Nicht genug, es gibt auch das Europa der zwei Geschwindigkeiten, hier das rasende Europa der Finanzmärkte und Banken, dort das hinterherhechelnde Europa der Regierungen und Parlamente. Und: Es gibt das Europa der zwei Wahrheiten. Die eine ist in Brüssel zu Hause, in Berlin und Paris, in den Machtzentralen; die andere in den Wohnzimmern und auf den Straßen europäischer Städte.
In den Kanzler- und Präsidentenbüros weiß man, wie es um den Euro steht, aber die Kanzler und Präsidenten meinen, dieses Wissen sei den Bürgern nicht zuzumuten. Sie wollen seit anderthalb Jahren nur Zeit gewinnen, aber sie verkennen, dass die Regierten sich fragen, wofür die Regierenden eigentlich Zeit gewinnen wollen.
So ehrbar es ist, dass Horst Reichenbach und seine 30 Nationbuilder in Athen für Ordnung sorgen sollen – 350 Milliarden Euro Staatsschulden werden sie nicht wegorganisieren. Wie man sie in den Griff bekommt, ohne das europäische Projekt zu ruinieren, ist die dringlichste Frage dieser Wochen. Nach 20 Jahren versäumter Entscheidungen, mutloser Reformen, aufgeschobener Taten haben nicht die Bürger, sondern die Märkte das vereinte Europa in ein Endspiel um den Euro gezwungen. Wie hat dieses Geld eine Zukunft? Besteht die Gefahr, dass Griechenland nur der erste Dominostein in einer Reihe ist, an deren Ende Deutschland steht? Ist die Euro-Zone eine Fehlkonstruktion?
Ein Team von SPIEGEL-Reportern ist diesen Fragen in Brüssel, Luxemburg, Athen, Berlin und anderswo nachgegangen. Es rekonstruiert Aufstieg und Fall einer Währung, die nur überleben kann, wenn in den nächsten Monaten nachgeholt wird, was in zwei Jahrzehnten versäumt worden ist.
[I. AKT]
Die Geburt des Euro
(1991 bis 2001)
Warum schon in der Gründungsphase die Fehler gemacht werden, die den Euro später bedrohen. Wie sich Griechenland und andere Staaten in die Währungsunion schummeln. Warum der Euro eine Billionenwette von Staatsmännern gegen die Märkte ist – die platzen wird.
Wer verstehen will, warum der Euro den Kontinent erzittern lässt, muss sich die Mühe machen, die Zeit um 20, 25 Jahre zurückzudrehen.
Das visionäre, tollkühne Projekt einer gemeinsamen Währung unterschiedlicher Staaten und Völker ist nicht zu verste-hen
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