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SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

Titel: SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Mascolo
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paar Monate dort sein. Er glaubt an die Einzigartigkeit seiner Perspektive. Seine Gedanken müssen etwas wert sein. Noch immer hofft er, dass diese Gesellschaft ihn braucht.
    Er muss stark sein, daran liegt ihm viel. Kein anderer auf Bastøy schafft die 140 Kilo im Fitnessraum. Thorstein liegt auf dem Rücken, stemmt mit beiden Armen eine Hantel. Einmal, zweimal, dreimal. Blut steigt in den Schädel, Luft bricht durch die Lippen. Viermal, fünfmal. Adern wölben sich auf der Stirn, der Kiefer zuckt.
    Der Typ mit dem iPod, der Kunsträuber, greift nach der Stange, zusammen führen sie das Gewicht zurück in die Halterung. Sie sind die Berühmtesten hier auf Bastøy, sie verstehen sich gut. Freunde sind sie nicht.
    Im Knast, sagen sie, hast du keine Freunde, nur Menschen, die dein Schicksal teilen.
    Der Raum ist rot gestrichen, aus dem Radio plätschert Pop. Fast jeden Abend, nach der Zählung und vor der Nachtkontrolle in den Zimmern, kommt Thorstein hierher und trainiert. Er gönnt sich keine Pause, nur manchmal sieht er in den Spiegel, drückt seine Schultern nach hinten und die Brust nach vorn. Er trinkt nicht, raucht nicht, nimmt keine Drogen. Der Körper ist das Terrain, das er kontrollieren kann.
    Dann ist es Nacht, und die Wachen sind nur noch zu fünft auf der Insel. Am anderen Ufer glitzern die Lichter der Stadt Horten. Die Leute sagen: Bastøy, das ist doch ein Ferienclub. Aber es klingt nicht, als würde sie das stören.
    Der Direktor will keine Prognose abgeben über Jorgen, über Raymond, über Thorstein. Er sagt, sein Konzept funktioniere nicht für jeden. Manche seien seelisch zu krank. Manche seien zu fest entschlossen, dass sich nichts an ihrer Weltsicht ändern darf.
    Wegsperren bringt nichts, weil man Menschen in einer liberalen Demokratie nicht für immer wegsperren kann, deshalb ist die Integration das Wichtigste und nicht die Strafe. Das ist seine Überzeugung.
    Das ist langjährige Politik in Skandinavien, ein moderater Strafvollzug, der traditionell einhergeht mit einem starken Sozialstaat. Der Norden hat niedrigere Gefangenenraten und mildere Haftbedingungen als das übrige Europa. Es ist nicht wie in Deutschland, wo es zwar einen offenen Vollzug gibt, gegen Ende der Haftzeit, aber keinen Rechtsanspruch darauf. Es ist eine Chance, die nur 17 Prozent der Gefangenen bekommen.
    In Norwegen sind rund ein Drittel der Gefängnisse offen wie Bastøy, in Zukunft sollen es noch mehr werden, so hat es das Parlament beschlossen. Die meisten Menschen halten das für eine gute Sache, vielleicht, meint der Direktor, muss man sagen: Noch halten sie es für eine gute Sache.
    Bei der letzten Parlamentswahl holte die Fortschrittspartei knapp 23 Prozent der Stimmen, eine Partei, die sich für härtere Strafen einsetzt.
    Den Direktor beunruhigt diese Entwicklung. "Es gibt keine einfachen Antworten", sagt er. Aber es gibt Fragen, die falsch gestellt sind. Ob es im Gefängnis schön sein darf, ist so eine Frage.
    Der Direktor ist Psychologe, doch er seziert keine Vergangenheiten. Seine Mission ist die Zukunft.
    Was bringt Strafe, wenn Rache nicht satt macht und Gefängnisse Täter züchten?
    Der Direktor ist kein Idealist, er ist Pragmatiker. "Ich bin kein Gutmensch", sagt Arne Nilsen und fixiert sein Gegenüber aus blaugrauen Augen, "ich bin bloß ein Egoist, der seinem Leben einen Sinn geben will."
    Er sieht Täter nicht als Opfer, aber als Bürger, die eines Tages in die Gesellschaft zurückkehren werden. "Auf Bastøy muss jeder lernen, mit seiner Freiheit umzugehen und sich eigene Grenzen zu setzen", sagt Nilsen, "das muss er draußen auch."
    Sogar die Matrosen auf der kleinen Fähre sind Gefangene. Neunmal täglich legen sie am Festland an, und noch nie ist einer geflohen. Jedes Mal, wenn sie auf die Insel zurückkehren, begrüßt sie ein Schild: "Bastøy, Übungsplatz für Verantwortung" steht darauf.
    Am anderen Morgen versteckt sich die Sonne noch hinter den Bäumen, doch die Fenster leuchten schon. Unter den Laternen tanzen Flocken, verwandeln Bastøy in die Welt unter einer Schneekugel, eine Spielzeugwelt.
    Jorgen sitzt auf seinem Bett, an der Wand hängt ein Foto seiner Freundin, betörend schön im Bikini. Thorstein, nur ein paar Räume weiter, löffelt Haferflocken.
    Der Wachmann ist da, Morgenrunde im Wohnzimmer. Eine Glühbirne muss ausgewechselt werden im Flur. Und die Wände sind ein wenig kahl. Die Gefangenen wollen jetzt Zweige aufhängen und Plakate besorgen.
    Jorgen kommt aus einem der roten

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