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liegt im Littauer Building am Rand des gepflegten Campus von Cambridge, Massachusetts, es ist ein Bau mit einem antiken Säulenportal.
Als der Euro echtes Geld wurde, hatte Rogoff gerade den Posten des Chefökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) angetreten; als der Euro in den neunziger Jahren Gestalt annahm, lehrte er in Princeton. Er teilte die Meinung seiner Kollegen in den USA, dass der Euro "zu unbescheiden" angelegt war.
Es war offenkundig, dass eine Währungsunion beschlossen war, ohne dass es eine politische Union gegeben hätte, und damit keine Möglichkeiten einer Zentralregierung, schnell auf Probleme im Währungsraum zu reagieren.
Rogoff konnte beobachten, dass sich zwischen den Ökonomen ein transatlantischer Graben auftat. Amerikaner und Westeuropäer, die sonst in wesentlichen Fragen der Makroökonomie mehr oder minder übereinstimmten, stritten sich plötzlich bis an den Rand der Beleidigung. Die Europäer warfen ihren Kollegen in Übersee vor, die historischen Vorgänge nicht zu begreifen, die große Vision, den Sprung nach vorn. Die Amerikaner, pragmatisch und trocken, hielten den Kollegen vor, die Risiken kleinzureden, sie fanden die alte Welt, wieder einmal, romantisch, realitätsblind.
Im Werk der EU- und Euro-Architekten fand Rogoff gute Einfälle. Das Schuldenkriterium von Maastricht etwa sei eine brillante, gültige Idee bis heute, sagt Rogoff. Die Obergrenze der Staatsverschuldung auf höchstens 60 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung eines Landes festzulegen habe sich als genialer Wurf erwiesen.
"Das war damals neu", sagt Rogoff, "es war eine große Erkenntnis." Das Problem war nur, auch das sollte sich schnell erweisen, dass die Europäer die eigenen Ideen gern verrieten.
[II. AKT]
Das Leben mit dem Euro
(2001 bis 2008)
Wie der Euro die Pumpwirtschaft der Staaten anheizt. Woher sich Griechenland seine Milliarden holt. Wie das Wachstumswunder ausbleibt. Wie die Deutschen die Regeln der EU verraten und zum Euro-Gewinner werden.
Die neue Entschlossenheit der Europäer, ihr spürbarer Wille, das historische Projekt zum Erfolg zu machen, wird belohnt. Banken, Pensionsfonds, Großanleger aus aller Welt beginnen sich für dieses neue Europa zu interessieren. Staatsanleihen Portugals und Irlands, verkoppelt mit französischer Wirtschaftskraft und deutscher Verlässlichkeit, sehen plötzlich aus wie risikoarme, vernünftige Zukunftsinvestitionen. Es ist die Zeit, in der die Finanzwirtschaft ihre neuen Zaubertricks entwickelt.
Klärwerksbetreiber in Schwaben, Stadtverwaltungen in Spanien, Dörfer in Portugal, Provinzbanken in Irland lassen sich mit Wall-Street-Bankern und Fondsmanagern aus London ein, die Profite versprechen, indem sie Schulden in handelbare Wertpapiere verwandeln. Und während sich die Zentralregierungen darum bemühen, ihre Staatshaushalte nach den Maastricht-Vorgaben zu deckeln, laden sich die Kommunen Verbindlichkeiten auf, die auf europäischer Ebene nirgends erfasst, nirgends verbucht werden.
Es wäre damals, als die Kredite in der Hoffnung auf die Segnungen des Euro fröhlich sprudelten, möglich gewesen, sagt Rogoff, Rücklagen zu bilden, Vorsorge zu treffen. Aber Rogoff hat den Menschen studiert, sehr häufig am Schachbrett und in zahllosen Dokumenten der Wirtschaftsgeschichte aus 800 Jahren. "Es ist sehr schwierig, das Geld zusammenzuhalten, wenn es einfach da ist", sagt er.
Politiker haben ein lässiges Verhältnis zur Verschuldung, und sie haben gute Gründe dafür. Sparsamkeit zahlt sich nicht aus für Politiker, sie machen Schulden, weil es nicht belohnt wird, keine zu machen. Billige Kredite waren überall zu haben, es war leicht, ihre Rückzahlung in eine ferne Zukunft zu verschieben, die Staatsausgaben zu refinanzieren, es war sogar leicht, sie auszuweiten.
Damals schon tat sich eine Lücke des Maastricht-Vertrags auf. Rogoff sagt, dass die 60-Prozent-Schuldenregel dringend hätte ergänzt werden müssen. Es sei falsch gewesen, nur rein quantitativ festzulegen, dass im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung 60 Prozent Schulden angehäuft werden dürften, ohne danach zu fragen, wo die Kredite eigentlich herkamen.
Es wäre nötig gewesen, sagt Kenneth Rogoff, den Anteil der Auslandsverbindlichkeiten an den jeweiligen Staatsschulden zu begrenzen. Solche Schulden führen auf Dauer – und erst recht im Moment einer Wirtschaftskrise – zu unguter Abhängigkeit von der Windrichtung auf den Märkten.
Tatsächlich finanzierten sich die Staaten im
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