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Griechenland bald auf einen Schlag Obligationen im Wert fünf Milliarden Euro und mehr, es gibt, sagt Sardelis, ab 2001 "riesige Nachfrage aus ganz Europa", auch aus Japan oder Singapur. Alles läuft so gut, dass Sardelis Fachleute der Deutschen Bank abwerben kann, Griechenland ist en vogue, irgendwie "in". In Wirklichkeit versteigern die Griechen ihre eigene Zukunft – und merken es nicht. Sie sehen im Euro-Beitritt das Ziel, obwohl er erst ein Start ist.
Noch im Frühjahr 2003 liegt die Verzinsung griechischer Anleihen nur um 0,09 Prozentpunkte über vergleichbaren deutschen Bonds, das heißt im Klartext: Die Märkte hielten damals Griechenland mit seiner Wirtschaft aus Oliven und Joghurt, Schiffen und Touristeninseln für ebenso kreditwürdig wie den hochindustrialisierten Exportweltmeister Deutschland. Warum? Weil beide Länder nun dieselbe Währung haben und weil die Märkte, wie der Chef des deutschen Bankenverbandes später sagen wird, nie an die "No-Bail-out"-Klausel des Maastrichter Vertrages geglaubt haben.
Man habe darauf vertraut, dass "im Ernstfall die starken die schwachen Staaten stützen werden", weil der laxe Umgang der Euro-Politiker mit ihren Regeln das früh signalisiert habe. Wer damals im großen Stil Greek-Bonds kaufte, wettete darauf, dass sich Europas Staatsmänner im Krisenfall selbst untreu würden.
Sardelis behauptet, er habe die aufkommenden Probleme gesehen und davor gewarnt. Er spricht heute von der immer weiter um sich greifenden "Illusion, die Währungsunion könnte unsere Probleme lösen". Aber statt ernsthafte Reformen der griechischen Staatsfinanzen anzustrengen, sei ein "Rückfall in alte Mentalitäten" festzustellen gewesen. Statt zu sparen, wurde verlangt, "so viel Geld wie möglich zu beschaffen".
Stets frisches Geld in der Haushaltskasse, die Olympischen Spiele vor der Tür, Aufbruchstimmung auf jeder Insel – all das verstellt den Verantwortlichen den Blick auf die Realitäten, meint Sardelis: "Das Land verfiel in Lethargie und Faulheit."
Deutschland hebelt den Vertrag aus
Im Jahr 2002 hat die deutsche Bundesregierung anderes zu tun, als in griechische Haushaltsbücher zu schauen. Sie gerät selbst in Schwierigkeiten. Die EU-Kommission droht, einen Blauen Brief nach Berlin zu schicken. Die Neuverschuldung liegt voraussichtlich über Plan und der erlaubten Obergrenze von drei Prozent. Was folgt, sind nicht deutsche Disziplin und vorbildliches Europäertum, sondern ein sich über zwei Jahre hinziehender Abwehrkampf der Regierung Schröder gegen die schlechten Zeugnisse aus Brüssel.
Innerhalb der EU-Kommission gibt es wenige, die ihre Kritik an der Aufweichung der Maastricht-Regeln äußern. Einer von ihnen ist der Niederländer Frits Bolkestein, er hat Mathematik, Physik, Jura, Wirtschaft und Altgriechisch studiert, eine steile Karriere beim Shell-Konzern absolviert, von 1999 bis 2004 ist er in der EU-Kommission für Binnenmarkt und Steuern zuständig.
Gegen den Beitritt Italiens zur Euro-Zone hat er öffentlich argumentiert, der Beitritt Griechenlands war für Bolkestein nur die Konsequenz aus "dem Fluch der bösen Tat", wie er die Aufnahme Italiens bis heute nennt. Als Romano Prodi, fünf Jahre lang Präsident der Europäischen Kommission, im Jahr 2002 den Stabilitätspakt, der die Solidität des Euro sichern soll, als "stupide" abtut, tritt Bolkestein vor Fernsehkameras und schmettert in die Mikrofone: "Es ist die Aufgabe des EU-Kommissionspräsidenten, die europäischen Verträge zu ehren und zu verteidigen, darunter fällt vor allem der Euro-Stabilitätspakt."
Am nächsten Morgen, sagt Bolkestein, habe sein Telefon geklingelt. Romano Prodi ist dran, er sagt: "Sie haben mich beleidigt, ich verlange eine Erklärung." Bolkestein besteht darauf, dass er die abfälligen Äußerungen Prodis zum Stabilitätspakt für falsch halte, und fügt hinzu: "Wenn diese Haltung vom Rest der EU-Kommission geteilt wird, biete ich meinen Rücktritt an."
Mit seiner kritischen Haltung gegenüber Italien und Griechenland steht Bolkestein oft allein in der Kommission. Gleichzeitig will er die Bemühungen des Landes, sich weiterzuentwickeln, belohnen. Als die griechische Regierung 150 Millionen Euro möchte, um für das Land ein Kataster zu erstellen, unterstützt er das Anliegen.
Ein Kataster ist eine Liegenschaftskarte sämtlicher Flurstücke eines Landes, geometrische Lage, Gebäude, Art, Nutzung, alles fein säuberlich kartiert und aufgelistet in Liegenschaftsbüchern. Bolkestein
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