SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)
Kriterien von Maastricht gibt. Es gibt jetzt klare Vorgaben, und es gibt in Europa sogar eine Zentrale, die Zahlen und Daten sammelt, abgleicht und auswertet: Eurostat.
Die Behörde in Luxemburg, 1953 als Zahlenlieferant der Montanunion gegründet, wird wichtiger mit dem Euro-Projekt. Politiker mögen ihre Visionen haben, am Ende aber brauchen sie harte Zahlen, sonst gehen die schönen Argumente aus. Das ist die Aufgabe von Eurostat: Anlaufstelle zu sein für die Statistiken, Zahlen, Datenkolonnen aus allen Ländern der Union. Sollte sich ein Berechnungsfehler irgendwo eingeschlichen haben, eine Ungereimtheit, dann schreiben die Eurostat-Mitarbeiter einen höflichen Brief, bitten um Aufklärung, mehr nicht.
Eurostat gehört zur EU-Kommission, es ist eine Art behördlicher Dienstleister in Sachen Statistik, in Luxemburg wird erfasst, wie viel Verpackungsmüll in Europa anfällt und wie viele Fische gefangen werden, es geht um die Größe von Milchseen und Butterbergen, nun aber geht es um alles oder nichts: Erfüllen die Euro-Kandidaten die Kriterien? Oder erfüllen sie sie nicht?
Das Einsammeln der Daten ist jedem EU-Land selbst überlassen, man vertraut einander unter Europäern, in jedem Staat gibt es ein unabhängig agierendes Statistisches Amt, all das ist geklärt. Was nicht geklärt ist: Wenn die Daten in Luxemburg zusammenfließen und wenn Eurostat Verfehlungen feststellt, Überschreitungen – welche Ebene, welche Stelle, welches Gremium setzt Sanktionen durch?
Schröder und Eichel erben den Euro
Deutschland erregt sich noch über andere Themen. Nach 16 Jahren Kohl-Regierung gewinnt Rot-Grün 1998 die Wahlen, es herrscht viel Aufbruchstimmung und wenig europäische Euphorie. Für den neuen Bundeskanzler Gerhard Schröder ist der Euro keine Frage von Krieg und Frieden mehr. Flapsig nennt Schröder das neue Geld eine "kränkelnde Frühgeburt".
Auch für seinen Finanzminister Hans Eichel ist der Euro keine Herzensangelegenheit. Er hat ihn schlicht vorgefunden. Und in der Rückschau, sagt er heute, hatte die ganze Konstruktion einer Einheitswährung einige Fehler. Die Klausel etwa, verschuldeten Staaten nicht beistehen zu dürfen ("No-Bail-Out"-Klausel), war "ein zentraler Denkfehler", und dabei war sie ein Zugeständnis an die Deutschen: Die wollten sicherstellen, dass im Krisenfall kein deutsches Geld fließen muss.
Eichel versteht bis heute den Sinn des Versprechens nicht. Es gab und gibt Hilfsprogramme für Länder wie Ungarn, Lettland oder Rumänien, die nicht zum Euro-Raum gehören, "aber in der Euro-Zone selbst darf die EU nicht helfen". Dabei liege die Hilfe für schwächere Länder doch auch im Interesse der starken, sagt Eichel. "Wenn wir denen nicht helfen, ihre Wirtschaft zu stärken, können sie unsere Waren nicht kaufen."
Und natürlich war der Euro immer auch eine politische Währung, sagt Eichel: Spanien, Portugal und Griechenland waren sämtlich ehemalige Militärdiktaturen, die erst Mitte der siebziger Jahre zur Demokratie zurückgefunden hatten. Die starke Einbindung in Europa sei auch als Maßnahme zur Festigung der Demokratie verstanden worden.
Griechenlands Demokratie bekommt das gewünschte Testat im Jahr 2000. EU-Kommission und Europäische Zentralbank bescheinigen dem Land, in den beiden zurückliegenden Jahren ordentlich aufgeholt zu haben. Die EZB warnt vor der hohen Verschuldung Griechenlands, dennoch empfiehlt die Kommission die Aufnahme in die Gemeinschaftswährung. "Griechenland hat auf einem langen und schwierigen Weg einen erfolgreichen Konvergenzprozess hinter sich", lobt Finanzminister Eichel im Bundestag.
Griechenlands Finanzminister Papantoniou ist am Ziel. Er gewinnt seine Wette gegen Theo Waigel. Griechenland wird Euro-Land.
Was bedeutet, dass die europäischen Verträge das Papier nicht wert sind, auf das sie gedruckt wurden. Die Staatsverschuldung Griechenlands liegt nicht bei 60 Prozent der Wirtschaftsleistung, wie als Maximum vorgeschrieben, sondern bei über 100 Prozent. Und schon damals gab es Zweifel an den offiziell aus Athen gemeldeten Zahlen.
Auf die Idee, ein Sondergutachten bei der Bundesbank einzuholen, wie es zu seinen Amtszeiten Theo Waigel für Belgien und Italien machen ließ, kommt Hans Eichel nicht. Alle Entscheider verfahren nach der Maßgabe: Je mehr Länder in der Euro-Zone, desto besser, desto mehr können, wie Eichel sagt, "unsere Waren kaufen". Auch die große Mehrheit der CDU- und FDP-Abgeordneten befürwortet die Aufnahme
Weitere Kostenlose Bücher