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herrscht, nach der euphorischen Aufbruchstimmung um die Jahrtausendwende, mit einem Mal sehr dicke Luft in diesem neuen Europa.
Der Eurostat-Generaldirektor verweist zu seiner Verteidigung auf die Fußnoten in den halbjährlichen Berichten seiner Behörde. Sie lauten zum Beispiel: "Eurostat sieht sich aufgrund fehlender oder unvollständiger Informationen außerstande, die Zahlen zu verifizieren." Es klingt wie ein vornehmes Räuspern.
Das wird lauter am 22. November 2004, als Eurostat einen ersten großen Bericht veröffentlicht, der die Jahre 1997 bis 1999 und das Jahr 2004 behandelt. Darin kommt die Behörde zu dem Fazit, dass es drei große Schwächen in der griechischen Kalkulation gebe.
Erstens würden die Militärausgaben verbucht, wie es gerade passe. Zweitens habe man chronisch die Sozialausgaben deutlich zu niedrig angesetzt, und drittens wurden die Steuereinkommen weit überschätzt. Was folgt aus solchen Berichten? Nichts.
Zu allem Überfluss werden die Hoffnungen auf kräftiges Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone nicht wahr, im Gegenteil. Deutschland vor allem schwächelt, das Wachstum in Europa ist mickrig, die Arbeitsmarktzahlen besorgniserregend. Europa ist immer wieder Thema in Washington, beim Internationalen Währungsfonds.
Der IWF warnt Europa
Am Sitz des IWF steht Europa unter Beobachtung. Die Euro-Länder, die sich seit den späten neunziger Jahren schöne, neue Welten hingebaut hatten, das meiste davon auf Pump, saßen in den folgenden Jahren schon, fast noch unbemerkt, jedenfalls weit unterschätzt, tief in einem Schuldenloch. Sie glichen einer Maus, die sich an der Falle gerade noch darüber freut, ein schönes Stück Käse gefunden zu haben, und die nicht merkt, dass sich über dem Käse ein Bügel spannt.
Und schon damals antwortete Kenneth Rogoff, IWF-Chefökonom, wenn ihn jemand nach der Möglichkeit fragte, ob der Euro-Raum auch wieder auseinanderbrechen könnte: "natürlich". Einige Länder, sagte Rogoff damals, würden in zehn Jahren vielleicht nicht mehr in Euro rechnen. Und wenn er so redete, schauten ihn seine Kollegen, und die europäischen zumal, immer so an, "als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank".
Der IWF beobachtete eine "Lähmung in Europa", sagt Rogoff. Die politische Union, seit Jahren versprochen, um der technischen Währungsunion einen echten Rahmen zu geben, kam nicht. Aber die europäische Party ging weiter. Und alle wollten tanzen, solange die Musik spielte. Nur Deutschland machte eine Ausnahme, hier wurde reformiert, unter Schmerzen, die Hasswörter des Augenblicks waren Agenda 2010 und Hartz IV.
"Was die Deutschen damals durchgezogen haben", sagt Rogoff, "ist sehr beeindruckend. Sie erkannten ein Schuldenproblem, sie erkannten die Systemschwächen, also machten sie sich rational daran, diese Schwächen zu beseitigen." Statt auf Entwicklung der Wirtschaftskraft, Reform der Sozialsysteme und Kontrolle der Kosten setzten Staaten wie Griechenland, Portugal, Italien auf immer neue Kredite mit möglichst langen Laufzeiten, um nötige Entscheidungen in die Zukunft zu vertagen.
Nicht sie, sondern Deutschland geriet in die Kritik. Die Deutschen, hieß es, drückten ihre europäischen Partner an die Wand. Pro Jahr steigt der deutsche Export in die Länder der Euro-Zone um durchschnittlich sechs Prozent, und 73 Prozent des deutschen Handelsüberschusses stammen aus diesen Ländern.
Die Agenda-Reformen übten Druck aus auf die Arbeitslöhne und halfen, die Lohnstückkosten so zu senken, dass sich Deutschland im Vergleich zu Ländern wie Italien oder Griechenland noch größere Wettbewerbsvorteile erwirtschaftete. In Deutschland sanken die Lohnstückkosten, in den meisten Ländern der Euro-Zone stiegen sie, vor allem in Griechenland.
Die griechischen Strukturprobleme
Die Griechen konsumieren auf Pump, Kredite sind günstig, sie kaufen deutsche Maschinen und Autos, steigern das deutsche Bruttosozialprodukt, versäumen Reformen im eigenen Land. Kein Regierender will die gewucherte Bürokratie zurückstutzen, kaum einer interessiert sich für Schuldentilgung, für Handelsdefizite, für Lohnstückkosten, für all die sperrigen Begriffe und Instrumente der Volkswirtschaft, kaum einer kämpft gegen Korruption, Subventionsbetrug und falsche Privilegien. Die Folgen der Versäumnisse lassen sich heute etwa in Nordgriechenland, im Grenzgebiet zu Bulgarien, wie in einem Freiluftmuseum begehen.
Im Industriegebiet von Komotini reiht sich Fabrik an Fabrik, Lagerhalle
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