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und Luxussteuern von insgesamt 35 Prozent, für Miet-Yachten aber gar nichts. "Also vermietet man die Yacht an einem Tag pro Monat, und schon hat man eine Miet-Yacht." Um in einem Rechtssystem mit so vielen Grauzonen zu bestehen, müsse man eben ab und zu die Grenzen des Legalen erkunden. Vernicos sagt das mit einem Gaunerlächeln.
Den Yacht-Besitzern keine Schwierigkeiten machen – das galt als Grundsatz der Fremdenverkehrsförderung, sagt Vernicos. Je mehr Touristenschiffe in der Ägäis, desto besser geht es den Dienstleistern auf den Inseln, den Hotels, den Restaurants, den Zulieferern. Jeder sechste griechische Arbeitnehmer ist im Tourismus beschäftigt.
Hellas als Urlaubsökonomie, das ist Vernicos' Vision, dafür wirbt er. Das vereinigte Europa, so Vernicos, sollte doch ein Gebilde sein, in dem "jeder das Seine tut", was schon bei Platon, auch ein Grieche, zur Definition eines gerechten Staates gehörte. In diesem Europa machen die Deutschen die Maschinen, die Italiener schneidern die Anzüge, die Spanier ziehen Gemüse, und alle buchen ihre Ferien bei den Griechen.
Stattdessen wolle die EU ein Europa, in dem alle alles tun und dabei miteinander auch noch im Wettbewerb stehen. Aber der Grieche, so Vernicos, könne nicht bestehen im Produktivitätswettbewerb mit Deutschen oder gar Chinesen. "Wir Griechen sind die Taxifahrer der Meere", sagt er – die Taxis selbst aber, also die Schiffe, würden woanders zusammengeschweißt, vor allem in Fernost. Griechen bauen keine Schiffe, sie fahren sie bloß.
Für Georgios A. Vernicos stellt sich das heutige Europa so dar, dass Brüssel den Griechen befiehlt, Schiffe zu bauen, statt nur zu fahren. Also produktiver zu werden. Und Steuern einzutreiben. Und Gesetze einzuhalten. Also: deutscher zu werden. Das will er aber nicht. Dass Deutschland die Regeln machen soll für das Spiel in ganz Europa, macht ihn ungehalten. "Sie haben es schon zweimal mit Kriegen versucht. Jetzt versuchen sie es mit ökonomischen Mitteln."
Dass die Steuerkommissare seit der Krise Ernst machen und unangemeldete Yachten gleich im Dutzend beschlagnahmen, macht Vernicos wütend. "Die Regierung führt jetzt einfach die Reichen als Sündenböcke vor." Misslaunig kaut er auf einem Stück Manouri, unfassbar stinkendem Käse von Inselziegen. Er möchte die alten Regeln zurück. Die waren zwar krumm und ungerecht, aber darin verlässlich.
Die Mentalität eines Georgios A. Vernicos ist in der Unternehmerschaft des Landes weit verbreitet. Sie verursacht jährlich geschätzte 20 Milliarden Euro Schaden durch Steuerausfälle. Fast ein Drittel der wirtschaftlichen Aktivität läuft in Griechenland am Finanzamt vorbei, heißt es.
Schlechte Noten für Griechenland
Im September 2008, als die Lehman-Pleite die Finanzmärkte in den Abgrund reißt, glaubt die griechische Regierung, verschont zu bleiben. Griechische Banken besitzen nur wenige der einfallsreichen Finanzpapiere von der Wall Street. Aber die Staatsverschuldung ist im Jahr 2008 auf 110 Prozent der Wirtschaftsleistung angewachsen, Griechenland hat inzwischen Italien überholt, und der Anteil externer Schulden bei ausländischen Anlegern ist im Fall Griechenlands deutlich höher. Das Land der schönen Inseln ist viel stärker bedroht, als es glauben mag.
Die Rating-Agenturen, die massenhaft wertlose Papiere zur sicheren Geldanlage erklärt hatten, stehen mit dem Lehman-Crash unter besonderer Beobachtung. Sie bewerten schließlich auch Staaten, vergeben Gütesiegel für Staatsanleihen. Was sind ihre Noten wert? Haben sie sich – wie in der Privatwirtschaft – auch über die Qualität der Volkswirtschaften getäuscht?
Jahrelang haben die drei großen Rating-Agenturen der Welt die Anleihen der Euro-Staaten einhellig mit AAA oder AA bewertet. Am 14. Januar 2009 entscheidet sich eine von ihnen, Standard & Poor's, die griechischen Staatspapiere auf A- zurückzustufen. Das ist der schlechteste Wert aller 16 Euro-Länder, und – aus heutiger Sicht – der Beginn des Absturzes.
Mit der Herabstufung wird eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt, die den Regierungschefs in Europa zeigen wird, wie fragil ihr Euro ist und wie ansteckend die Verhältnisse im kleinen Griechenland.
Verantwortlich für die Herabstufung ist Marko Mršnik, ein "Sovereign Credit Analyst" und bei Standard & Poor's auch für griechische Staatsanleihen zuständig. Der gebürtige Slowene redet nicht mit Journalisten. Wer wissen will, wie er die Märkte einschätzt, muss seine
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