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Ursula von der Leyen sich beim Fototermin vor der Kabinettssitzung neben sie presste und nicht abzuschütteln war. Vor allem in Wochen, in denen man der Arbeitsministerin nachsagte, dass sie arg unfair gegenüber ihrer schwangeren Kollegin handle. Die Bilder sollten diesen Eindruck korrigieren.
Das ist es, was Frauen wie Schavan so falsch und anbiedernd am Spiel von der Leyens finden: die Zweigesichtigkeit.
Christine Bauer-Jelinek berät Männer und Frauen aus Wirtschaft und Politik in Karrierefragen. Sie ist Psychotherapeutin und führt ein Institut für Macht-Kompetenz in Wien. Bauer-Jelinek weiß um die Vorbehalte, die Frauen gegenüber dem Zweigesichtigen empfinden. Sie nennt es "die Doppelstrategie". Für Bauer-Jelinek ist diese Strategie der einzige Weg, der nach oben führt.
"In der Politik hat sie eine ganz besondere Bedeutung", sagt Bauer-Jelinek. Nach außen müsse man Klischees und Rollenbilder bedienen, um Sympathiepunkte vom Wähler zu erhalten. Für Frauen heiße das, weich, offen, unkompliziert, charmant zu wirken. Die Rolle der Mutter, des Kumpeltyps biete sich gut an. So sollen sich die Frauen nach außen, in der Öffentlichkeit, präsentieren.
Nach innen, in der Partei, aber dürften Frauen diesem Bild von sich nicht auf den Leim gehen. In Konflikten müssten sie mit aller Härte auftreten. Wer dort weiterhin auf das Weiche, Umgängliche setze, bleibe auf dem Weg nach ganz oben hängen. "In der Top-Liga", so Bauer-Jelinek, "zählen Geschlechterfragen nicht mehr." Dort werde weder besonders männlich noch besonders weiblich gekämpft. "Wer oben mitspielen will, muss in die Kraftkammer. Der muss die Spielregeln der Macht beherrschen."
Für Frauen sei das Verdecken dieser Doppelstrategie schwerer als für Männer. Von ihnen erwarte man in einem viel höheren Maße Loyalität, Fürsorglichkeit. "Die Irritation ist groß, wenn man bemerkt, dass eine Frau nicht für alle sorgt, sondern ihre eigenen Interessen verfolgt." Vor allem in den Augen anderer Frauen sei die Enttäuschung besonders groß. Aber Bauer-Jelinek ist sich nach 20 Jahren im Beruf sicher: "Wer es nicht schafft, sein öffentliches Image von seiner Strategie in der Partei zu trennen, der kommt nie nach ganz oben."
Kristina Schröders Loyalität wird sich auszahlen, solange die Bundeskanzlerin ihr gewogen bleibt. Doch für die Bürger, die Familien und Frauen, zählt nicht, was die Logik des Politischen einer Ministerin diktiert. Für sie zählt, wie deren Politik in ihr Leben eingreift. Ist Schröder in diesem Sinne eine schlechte Ministerin, hat die Kanzlerin wenig Grund, ihr gewogen zu bleiben.
Annette Schavan ist erfolgreich, aber sie macht Politik unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. So kann sie sich keine eigene Machtbasis sichern. Sie ist, wie Schröder, von der Zugewandtheit der Kanzlerin abhängig. An Ursula von der Leyen aber kommt wohl niemand mehr vorbei. Auch Angela Merkel nicht.
Im vergangenen Sommer sprach Ursula von der Leyen mit dem SPIEGEL über Macht. Eine Frage lautete: "Es wird Ihnen nachgesagt, Sie seien bisweilen eine recht kalte Machtpolitikerin. Empfinden Sie das als Kompliment?"
"Ach, Machtpolitikerin", antwortete von der Leyen damals. "Das ist so ein Klischee. Ich versuche das, was ich für richtig halte, in der Politik durchzusetzen."
Was hätte Bauer-Jelinek einer Politikerin geraten, die auf ihre Machtstrategie angesprochen wird?
"Unbedingt ausweichen. Auf die eigenen Ideale verweisen. Und sagen, man sei so, wie man ist."
Veröffentlicht in DER SPIEGEL 2/2012
Der SPIEGEL-Autor Dirk Kurbjuweit wurde beim Deutschen Reporterpreis 2012 für den besten Essay ausgezeichnet.
Die halbe Kanzlerin
Angela Merkel wirkt oft wie ein Regierungsautomat, kühl und unnahbar. Dabei hat sie ein munteres Gemüt, das sie aber öffentlich nur selten zeigt. Auch deshalb erscheint die deutsche Demokratie so ausgedorrt. Und der Europapolitik fehlt die emotionale Grundlage.
Wenn Angela Merkel morgens aufsteht, beginnt sie nicht gleich damit, den Euro zu retten, sie führt sich nicht auf wie eine Frau, die Europa dominiert, Deutschland dominiert, die Union dominiert, sie führt sich nicht auf wie eine Frau, die angeblich Helmut Kohl weggebissen hat, Wolfgang Schäuble weggebissen hat, Friedrich Merz weggebissen hat. Wenn Angela Merkel morgens aufsteht, macht sie ihrem Mann das Frühstück. Sie will, dass Joachim Sauer etwas Ordentliches im Bauch hat, bevor er das Haus verlässt.
Sie hat das selbst erzählt. Das war auf einem
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