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wurde, hatte er sich in den achtziger Jahren eine perfekte Geschichte über die Herkunft der Bilder ausgedacht: Danach habe Schulte-Kellinghaus' Großvater Knops, ein Schneidermeister aus Krefeld, seinem Enkel eine umfangreiche Kunstsammlung vermacht. Knops habe in den zwanziger Jahren bei Kunsthändlern wie Alfred Flechtheim in Düsseldorf gekauft und die Bilder während der Nazi-Zeit versteckt.
In den neunziger Jahren erfand Beltracchi die Sammlung Jägers. Werner Jägers war tatsächlich ein Unternehmer in Köln, aber vor allem der Großvater von Beltracchis Ehefrau Helene, die er 1993 heiratete und deren Name er annahm (geboren wurde er als Wolfgang Fischer). Auch Jägers habe in den zwanziger Jahren bei Flechtheim und anderen Galerien die Werke namhafter Expressionisten erstanden. Die beiden hätten sich gut gekannt.
Das Ehepaar hat weder vor Beginn des Prozesses noch nach dem Geständnis jemals öffentlich Auskunft über seine Taten gegeben. Beltracchi schreibt derzeit an einem Buch über sein Leben und arbeitet an einem Dokumentarfilm. In diesem Monat wird das Ehepaar die Haft antreten, Helene Beltracchi in Köln-Ossendorf, ihr Mann in Euskirchen. Sie dürfen in den offenen Vollzug.
SPIEGEL: Herr Beltracchi, wie viel Schulden haben Sie jetzt genau?
Beltracchi: 6,5 Millionen Euro, glaube ich. Oder sogar 8? Aber wir wissen nicht, wer noch alles kommt.
SPIEGEL: Gibt es einen Plan, wie Sie die Ansprüche befriedigen wollen?
Beltracchi: Wir haben Immobilien in Frankreich und in Freiburg. Die sind zum Verkauf angeboten. Und dann gibt es noch das Geld auf den Konten.
Helene Beltracchi: Außerdem arbeiten wir jeden Tag.
Beltracchi: Müssen wir ja, um einen Platz im offenen Vollzug zu bekommen. Wir sind in dem Fotostudio eines Freundes angestellt. Meine Frau hat dort schon in den achtziger Jahren gearbeitet, sie kümmert sich um die Akquise, ich beschäftige mich mit dem Künstlerischen.
SPIEGEL: Man kann also sagen, dass Sie nun, im Alter von 61 Jahren, zum ersten Mal in Ihrem Leben einer geregelten Arbeit nachgehen?
Beltracchi: Ja, das erste Mal.
SPIEGEL: Das haben Sie noch mal knapp vorm Rentenalter geschafft.
Beltracchi: Hatte ich aber nicht vor.
SPIEGEL: Sie haben sich das alles sowieso ganz anders vorgestellt?
Beltracchi: So ein Ende stellt sich niemand vor.
SPIEGEL: Eine Ahnung aber, dass das nicht gut enden wird, hatten Sie?
Beltracchi: Schon länger.
SPIEGEL: Herr Beltracchi, Sie werden als ein Ausnahmetalent gefeiert, das die Absurdität des Kunstmarkts entlarvt. Es gibt aber auch Leute, die sagen, Sie seien viel zu gut weggekommen mit Ihrer Haftstrafe. Für die sind Sie ein Verbrecher.
Beltracchi: Für die einen ist man ein Krimineller, für die anderen ein Künstler. Das kann ich verstehen. Im juristischen Sinne bin ich ein verurteilter Krimineller.
SPIEGEL: Haben Sie darüber nachgedacht, ob das richtig ist, was Sie taten?
Beltracchi: Klar. Aber ich habe niemals beschlossen, ein Kunstfälscher zu werden. Meine Begabung war mir früh bewusst geworden, und ich hab sie dann leichtfertig eingesetzt. So hat sich das über Jahre entwickelt. Innerlich sehe ich mich nicht als Verbrecher.
SPIEGEL: Juristisch sind Sie es, moralisch auch: Sie haben Leute getäuscht und sich Millionen erschwindelt.
Beltracchi: In den 14 Monaten Untersuchungshaft habe ich richtige Verbrecher kennengelernt: Mörder, Kinderficker, Totschläger. Ich habe nie jemanden verletzt, bestohlen oder ausgeraubt.
SPIEGEL: Die Strafe, die Sie bekommen haben, ist also zu hoch?
Beltracchi: Na ja, sie ist hart, aber schon gerechtfertigt, weil ich eben Bilder gefälscht habe, und das seit ewig und drei Tagen. Auf eine gewisse Weise ist das auch eine Erleichterung: Jetzt kann ich all die Dinge öffentlich tun, die ich schon immer gerne gemacht habe. Schreiben, filmen, bildhauern, eigene Sujets malen.
SPIEGEL: Früher hatten Sie viel Geld, aber keinen Ruhm. Jetzt gibt es den Ruhm, aber kein Geld.
Beltracchi: Ruhm hat mich nie interessiert. Ich hätte schon in den siebziger Jahren mehr von meinen eigenen Sachen ausstellen können, aber das wollte ich nicht. Das ist wie bei einem Kind. Wenn es aus der Schule kommt, will es nur eins: wieder raus, was erleben. Ewig lang an einem Bild rummalen? Nein, ich wollte Spaß haben, reisen, Frauen kennenlernen, das Leben leben.
SPIEGEL: Hat es Sie nie gereizt, der Welt mitzuteilen: Hört mal, Leute, das war ich?
Beltracchi: Nein.
Helene
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