SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)
die Jungs in der Schule mit Druckwaren versorgt.
SPIEGEL: Mit Druckwaren, die man damals nicht unbedingt am Kiosk bekam?
Beltracchi: Kann man so sagen. Meinen Mathe-Lehrer habe ich im Séparée erwischt. Er fragte: Fischer, was machst du hier? Du bist viel zu jung! Und ich antwortete: Geld verdienen, aber was machen Sie hier? Meine Mutter sorgte dafür, dass ich noch meinen Realschulabschluss bekam. Ich habe dann die Sonderbegabtenprüfung an der Werkkunstschule in Aachen bestanden, und da fingen die Probleme schon an: Einer der Dozenten sagte, die eingereichten Arbeiten seien nicht von mir – viel zu gut. Mein Kunstlehrer musste die Echtheit bestätigen. 1969 war das, aber das Studium hat mich nicht sehr interessiert. Die meiste Zeit verbrachte ich in einem Café in der Südstraße. Ich saß gerne im Kaffeehaus.
SPIEGEL: Wovon haben Sie gelebt?
Beltracchi: Vom Malen halt.
SPIEGEL: Da haben Sie schon gefälscht?
Beltracchi: Ein bisschen.
SPIEGEL: Was denn so?
Beltracchi: Am Anfang ungemalte Werke Alter Meister, später auch Jugendstil und Expressionisten. Für Flohmärkte, ich denke, den Käufern war schon bewusst, dass es sich dabei nicht um Originale handelte. Ansonsten war ich viel unterwegs. Auf Musikfestivals, auf Reisen. Ich bin mit 15 das erste Mal losgezogen.
SPIEGEL: Wo waren Sie?
Beltracchi: Europa. In den Innenstädten habe ich Pflaster bemalt. Das war damals noch ganz ungewöhnlich. Meine erste Tour ging bis nach Barcelona. Da konnte man manchmal 100 Mark am Tag machen. Das war riesig viel Geld. Mein Vater hat damals 800 Mark im Monat verdient.
SPIEGEL: Noch mal kurz zurück: Sie haben in jungen Jahren Alte Meister gemalt?
Beltracchi: Ja, aber das war zu viel Arbeit.
SPIEGEL: Wieso?
Beltracchi: Zu aufwendig. Früher wurde auf Holz gemalt: Das geht für eine Fälschung gar nicht. Wie will man die Farbe jemals trocknen, ohne dass sich das Holz verzieht? Und dann diese altmeisterliche Lasurtechnik: Man malte wochenlang an einem Bild, und am Ende gab es dafür vielleicht 5000 Mark.
SPIEGEL: Waren Sie politisch engagiert?
Beltracchi: Ich habe mal an einer Demo in Aachen teilgenommen gegen Fahrpreiserhöhungen bei der Straßenbahn. Ein Polizist riss mir ein Büschel Haare raus, es gab wilde Prügeleien. Da dachte ich mir: Lass mal stecken.
SPIEGEL: Haben Sie damals Drogen genommen?
Beltracchi: Haschisch vor allem, seit 1968 ungefähr. Manchmal habe ich Opium geraucht. Und auch LSD genommen, eine Zeitlang ziemlich viel LSD sogar. Aber ich habe nie schlechte Erfahrungen gemacht. 1985 habe ich aufgehört. Es war genug, ich vermisse es auch nicht.
SPIEGEL: Eine bürgerliche Existenz, eine Karriere haben Sie nicht interessiert?
Beltracchi: Nein. Ich habe halt gemalt und gelebt. Die Zeit von 1970 bis Anfang der achtziger Jahre war wie ein einziger, großer Film. In Amsterdam habe ich ein Jahr lang auf einem Hausboot gewohnt. Das war heftig, kann sein, dass ich ein paar Aussetzer hatte.
SPIEGEL: Haben Sie gemalt in Amsterdam?
Beltracchi: Keinen Strich. Ich bin morgens auf den Flohmarkt gegangen und ließ mich von den Touristen gegen Geld fotografieren. Ich sah ganz schön wild aus, lange Locken bis zur Hüfte, indische Gewänder, ein bodenlanger Pelzmantel. Da muss es eine Menge Fotos geben.
SPIEGEL: Klingt super. Aber war es das wirklich? Drogen können Fürchterliches anrichten.
Beltracchi: Die ganz harten Drogen waren damals, Anfang der Siebziger, noch nicht so verbreitet. Easy Living, das war es: Überall bekam man einen Job, es gab keinen Druck, Geld war kein Problem, nichts war ein Problem.
SPIEGEL: Man kann sagen, dass Sie dieses Lebensgefühl ziemlich lange, vielleicht sogar bis heute, durchgezogen haben?
Beltracchi: Ich habe es gestreckt, solange es ging.
SPIEGEL: Seit wann ist es vorbei?
Beltracchi: Seit dem Knast, würde ich sagen. Aber ich arbeite daran, dass es wiederkommt. In der U-Haft hieß es: Mensch, was bist du gut drauf! Ich bin eine Frohnatur und dachte mir: Du sitzt jetzt hier, das hat seine Gründe, war ja klar. Natürlich wird auch der offene Vollzug kein Kinderspiel. Die Häuser sind weg, das Geld ist weg. Für jeden normalen Menschen muss das viel bedeuten.
SPIEGEL: Für Sie doch auch.
Beltracchi: Nicht so.
Helene Beltracchi: Jetzt fängt etwas Neues an, das muss ja nicht unbedingt einen Geldwert haben. Wir sind in einem Alter, in dem die meisten sagen, so, jetzt mache ich gar nichts mehr, aber
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