SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)
dem ausschließlich alawitischen Dorf Fula, Richtung Taldu unterwegs seien und rief zu Hause an. "Sie sammeln sich", habe sein Vater ihm gesagt, es traue sich kaum einer aus dem Haus, da viel geschossen werde. "Um kurz vor fünf war ich in der Nähe unseres Hauses, von wo aus man die Straße nach Fula auf dem Hügel sehen kann. Da kamen ungefähr zehn Autos und bestimmt 400 Mann herunter. Einige trugen Militärkleidung, andere waren in Zivil. Manche trugen lange Bärte, ihre Köpfe waren kahlgeschoren. Manche der Männer trugen eine rote Armbinde.
Vom Wasserwerk, wo das Militär sitzt, kam eine zweite Gruppe, das waren ungefähr 30 Mann in Uniform. Langsam näherte ich mich unserem Haus und versteckte mich an der Sadd-Straße. Von dort sah ich, wie die Männer sich rasch verteilten und als Erstes einen Mann mit einem Maschinengewehr in der Kreuzung postierten, um die Gegend kontrollieren zu können. Wahrscheinlich haben sich beide Gruppen dort getroffen. Ich sah jeweils vier, fünf Männer in die Häuser gehen, in Zivil und in Uniform. Sie hatten Kalaschnikows dabei, und jedes Mal, wenn sie in ein Haus gingen, hörte ich kurz darauf einzelne Schüsse. Soldaten sahen mich, da bin ich weggerannt, ungefähr 400 Meter weit. Gegen 19 Uhr waren andere Schüsse zu hören, das klang wie Freudenfeuer. Als es vorbei zu sein schien, hat mich jemand auf dem Motorrad mitgenommen, und wir haben im ersten Haus, das wir betraten, zwölf Leichen der Familie von Samir Abd al-Rassak gefunden."
Zeuge II
Auch der Offizier Dschihad Raslan, der seit vier Tagen auf Heimaturlaub war, sah von seinem Haus in der Sadd-Straße, wie um 18.30 Uhr Bewaffnete in Zivil und Uniform auf einen Olivenhain zwischen dem Alawiten-Dorf Fula und Taldu zugingen. "Ich sah mehr als hundert Männer, aber es war unübersichtlich. Das Bombardement war abgeebbt. Ich verließ vorsichtig das Haus, um nachzusehen. Eine Frau, die von Westen her auf mich zulief und mich erkannte, rief: ,Sie bringen die Leute um!' Um sechs sah ich eine weitere Frau mit Schusswunden auf der Straße liegen, die sagte: 'Sie gehen in die Häuser und töten!'
Ich habe gewartet, sah bis 19 Uhr Fliehende, bin eine halbe Stunde später rausgegangen mit einer Taschenlampe, denn der Strom war abgeschaltet worden. Dann bin ich nacheinander in drei Häuser gegangen: Im ersten, dem von Samir Abd al-Rassak, lag eine einzelne tote Frau und in einem weiteren Raum mehrere Frauen und Kinder mit Schusswunden. Vor dem zweiten Haus sah ich Mustafa Abd al-Rassak noch atmend in einer riesigen Blutlache liegen, drinnen die tote Familie. Und im dritten Haus, dem von Abu Schaalan Abd al-Rassak, waren es über 20 Leichen. Ich habe mitgeholfen, die Toten mit Autos in die Moschee zu bringen, dann brachte ich meine eigene Familie in Sicherheit."
Zeuge III
Dschihad Raslans Bekannter, der Leutnant Malik Bakkur, war im Haus eines Cousins in der Sadd-Straße, als er davon hörte, dass Bewaffnete von Fula nach Taldu herunterkamen: "Bis um sechs Uhr war so viel Granatenbeschuss, dass ich mich kaum hinaustraute. Ich sah, wie gegen 17.30 Uhr 40 Männer in Uniform und in Zivil nach Fula hochzogen, die meisten liefen, aber voran fuhr ein silberfarbener Pick-up mit aufmontiertem MG. Den hatte ich Tage zuvor schon am Checkpoint gesehen, der eine Weile zuvor in Fula errichtet worden war. Ich stand etwas erhöht und konnte die Männer beobachten, bis ungefähr hundert Meter vor dem Dorf.
Dann traf ich Raslan, und wir gingen gemeinsam in die Häuser, sahen die Leichen. Einigen war der Schädel gespalten wie von einem Metzgerbeil, andere hatten aufgesetzte Kopfschüsse, vorn ein kleines, hinten ein großes Loch. In Mustafa Abd al-Rassaks Haus zählte ich 17 Leichen übereinander."
Weitere Überlebende haben die Gruppe aus Fula kommen sehen, und auch sie erinnern sich an ähnliche Details – so etwa an die roten Armbinden, die eine alte Frau sah, die anonym bleiben will: "Das trug der Soldat in einer grünen Uniform, der hereinkam. Alle Türen standen offen, weil wir noch an eine Razzia glaubten, wie sie mehrmals zuvor vorgekommen waren. Meine Schwiegertochter sagte ihm, hier sind nur Frauen und Kinder, unsere Männer arbeiten im Libanon. Ich stand hinter einer Tür, als er hereinkam und sofort schoss."
Es war das Missverständnis, die Mörder kämen nur zu einer Razzia, das so viele Leben kostete – und manches rettete, wie das des Sohnes von Mustafa Abd al-Rassak: Der hatte sich in einer aufgegebenen Hühnerfarm 50
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