SPIEGEL E-Book: Deutschland, Deine Reichen: Wer sind sie - und warum so viele? (German Edition)
Kapitalismus erlebt eine echte Krise. Und es ist eine Vertrauenskrise", sagt Cromme, der zu wissen glaubt, wann das losging: Mitte der neunziger Jahre. Nach Asienkrise, geplatzter Internetblase und 9/11 begann zuerst die amerikanische Notenbank Federal Reserve, die Leitzinsen zu drücken. Sie wollte Geld billiger machen, um die Märkte zu beruhigen. Das weckte die dunkle Seite der Macht.
"Geld hat einen Wert. Wer Geld geschenkt bekommt, unterliegt der Gefahr, unvorsichtig damit umzugehen, das gilt für Bürger, Politiker, Unternehmer und Banker gleichermaßen. Dieser unvorsichtige Umgang mit Kapital hat das Risiko eines Kollapses über Jahre hinweg dramatisch erhöht", sagt Cromme.
Es ist jetzt klar, in welche Richtung seine eigene Kapitalismuskritik zielen wird: "Es gibt Beispiele, wo es unter ein und demselben Bankendach zwei Abteilungen gibt. In der einen werden raffinierte Finanzprodukte entworfen und mit beredten Worten naiven Kunden verkauft. In der anderen Abteilung wird von anderen Bankern anderen Kunden eingeredet, da kommt ein Produkt auf den Markt, bei dem eine Top-Rendite winke, wenn man dagegen wette."
Cromme hat sich jetzt in Rage geredet: "Beide Abteilungen kassieren natürlich von ihren Kunden Provisionen. Und wenn etwas schiefgeht, muss der Staat, also der Steuerzahler, einspringen. Das führte zu einem Vertrauensverlust gegenüber der gesamten Finanzwirtschaft."
Da sind wir heute. Und natürlich hat Cromme recht, aber das billige Geld hat nicht nur Banker gierig gemacht.
Und nicht nur die sind für das schwindende Vertrauen in die Segnungen des Kapitalismus verantwortlich. Die Gier pumpte auch die Internetblase auf – und mit ihr die Versprechen mancher Manager wie Unternehmer. Selbst der Hunger der Kleinanleger wuchs. Es folgten Bilanzskandale, Pleiten und Prozesse: Worldcom, Enron, in Deutschland Flowtex oder EM.TV. Dessen Gründer Thomas Haffa kam am Ende langwieriger Verfahren mit einer Geldstrafe davon und betreibt heute eine exklusive Airline.
Seither geht es vor deutschen Gerichten immer wieder um Tatbestände wie Betrug, Insolvenzverschleppung, Insiderhandel, Steuerhinterziehung oder Untreue. Staatsanwälte ermitteln hier und durchsuchen dort. Viele Vorbilder von gestern sind heute keine mehr. Und das Geld ist meist mit schuld daran: ob als Gewinnaussicht der Manager oder als Aktienkurs, als Köder oder Druckmittel.
Thomas Middelhoff baute den Kaufhauskonzern Arcandor so lange um, bis das Unternehmen kurz nach seinem Abschied Insolvenz anmelden musste. Er selbst bekam noch einen finalen Bonus von 2,3 Millionen Euro. Trotzdem wird es allmählich eng für ihn.
Seine Yacht, eine Mangusta 108, kostet ihn 730 000 Euro. Miete. Jährlich. Jüngst jammerte er vor Gericht, allein sein Familiensitz in Bielefeld verschlinge 20 000 Euro an Personalkosten. Monatlich. Schön ist das Interieur trotzdem nicht – obwohl oder weil Middelhoffs Gattin Cornelie als Innenarchitektin tätig war, mag man nicht beurteilen.
Und Post-Chef Klaus Zumwinkel hinterzog in Liechtenstein eine Million Euro Steuern und wurde dafür zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Es gibt übrigens etliche Reiche, die finden, dass Zumwinkel zwar Unrecht getan hat, aber ihm auch Unrecht getan wurde. Dass die Staatsanwälte ihn vorgeführt hätten.
Es gruselt sie, wenn sie sich vorstellen, dass auch bei ihnen morgen früh die Steuerfahnder klingeln könnten, während auf der anderen Straßenseite schon die Kameras klicken. Alles wegen einer lächerlichen Million? Es geht ja hier wie anderswo nicht um das Geld, das Zumwinkel gar nicht nötig hatte. Wegen des Verkaufs einer Familienfirma war er schon vor seinem Post-Job ein unabhängiger Mann. Es geht um Symbolkraft. Der Konzernchef Klaus Zumwinkel hat den Staat betrogen, der zugleich Großaktionär der Post ist, also sein Arbeitgeber.
Er war noch frecher als Georg Funke, früherer Chef der Hypo Real Estate, der die Bank erst in ein Milliardengrab verwandelte und nach dem Rausschmiss noch Gehalt und Pension einklagte. Und er war unanständiger als ein Bundespräsident, der in der mallorquinischen Villa seines "Freundes" Maschmeyer Urlaub machte. Man tut bestimmte Dinge einfach nicht.
Aber das Geld, das so billig geworden ist, hat eben auch manche moralische Maßstäbe verschoben, wenn auch nicht bei allen. Die Extreme bleiben haften.
Ein besonders kraftvolles Symbol für einen irgendwie verkorksten Kapitalismus wurde dabei das Bild des Deutsche-Bank-Chefs
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