Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013
Hilfsarbeiten.
Noch heute erinnern sich Erwachsene am Kap mit Abscheu, wie sie als Kinder auf dem Amt vorsprechen und den sogenannten Bleistift-Test über sich ergehen lassen mussten. Der Apartheid-Beamte schob ihnen dazu ein Schreibgerät in die Haare. Fiel der Bleistift hinunter, galten die Haare als glatt und der Delinquent als „Coloured“. Im kräuseligen Haar der Schwarzen jedoch blieb der Stift hängen - solch primitiver Methoden bediente sich das ebenso bornierte wie brutale Regime.
Die Rassentrennung, die Herrschaft von kaum 5 Millionen Weißen über 40 Millionen Schwarze und Farbige, war nur vermittels eines aufgeblähten Sicherheitsapparats aufrechtzuerhalten. Ein Gummi-Paragraf gegen „kommunistische Umtriebe“ ließ zu, praktisch jede Art von freier Meinungsäußerung zu unterdrücken. Oppositionelle wurden willkürlich verhaftet.
Etliche überlebten die Haft nicht - wie der charismatische Medizinstudent Steve Biko 1977. Demonstrationen trieb die Polizei mit Tränengas und gepanzerten Fahrzeugen auseinander. 1960 starben in der Kleinstadt Sharpeville 69 schwarze unbewaffnete Demonstranten im Kugelhagel der Polizei.
Schon kurz nach der Vereinigung der britischen Kolonien am Kap 1910 gab es erste Formen schwarzen Widerstands gegen die weiße Herrschaft. So forderten die Mitglieder des 1912 gegründeten „South African Native National Congress“, die meisten von ihnen Angehörige der Xhosa-Oberschicht, ein Zensuswahlrecht auch für Schwarze wie in der Frühzeit der Kapkolonie.
Nach dem Wahlsieg der Apartheid-Partei „National Party“ war jedoch 1948 die Zeit der Fügsamkeit vorbei. Junge, in Missionsschulen und Universitäten ausgebildete Schwarze wie Nelson Mandela und Oliver Tambo gaben fortan den Ton im 1923 gegründeten „African National Congress“ (ANC) an. Sie forderten Gleichberechtigung und ersannen neue, radikale Protestformen: Massenhaft blieben schwarze Arbeiter morgens zu Hause, massenhaft verstießen sie gegen die Passgesetze, massenhaft bestiegen sie „weiße“ Busse.
1955 verabschiedete eine Konferenz verschiedener Anti-Apartheid-Gruppen in Kliptown bei Johannesburg die Freiheitscharta - das wichtigste programmatische Dokument des ANC. Deren Präambel forderte keineswegs, die Weißen zurück ins Meer zu treiben: „Südafrika gehört allen, die darin leben, Schwarzen und Weißen.“
Das Regime in Pretoria reagierte mit Gewalt. Es sammelte „Beweise“ und überzog schwarze Menschenrechtler mit Prozessen. 1960 wurden der ANC verboten. Sein bewaffneter Flügel „Umkhonto we Sizwe“ („Speer der Nation“) operierte von Mosambik aus. Die Anschläge richteten sich vor allem gegen Gebäude, Gewalt gegen Menschen war höchst umstritten.
1964 verurteilte das Oberste Gericht in Pretoria Nelson Mandela zu lebenslänglicher Haft. Die meiste Zeit der folgenden 27 Jahre verbrachte er auf der Kapstadt vorgelagerten Gefängnisinsel Robben Island.
Mit dem sich abzeichnenden Zusammenbruch des Ostblocks in den späten achtziger Jahre hatte aber auch die Stunde des Apartheid-Regimes geschlagen: Der „Perestroika“ folgte die „Pretoriastroika“. Das Schreckgespenst einer kommunistischen Revolution, mit dem Pretoria sein Regime im Ausland gerechtfertigt hatte, wurde immer unglaubwürdiger. Fast die ganze Welt hatte Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika verhängt. „Free Mandela“ war zur internationalen Parole von Menschenrechtlern geworden.
Nur scheinbar kam Präsident Pieter Willem Botha, wegen seiner Bärbeißigkeit das „Große Krokodil“ genannt, seit 1984 Reformforderungen entgegen. Echte Fortschritte brachten erst geheime Verhandlungen mit Mandela als dem „Gefangenen Nummer 1“.
Seit 1985 hatten sich weiße Politiker immer wieder mit ANC-Größen zu Gesprächen getroffen. Der Geheimdienstchef Niel Barnard knüpfte hinter dem Rücken des Botha-Nachfolgers Frederik Willem de Klerk einen soliden Gesprächsfaden mit Mandela. Darüber war der neue Präsident zunächst verärgert, doch machte er sich die Initiative schnell zu eigen und verkündete im Parlament die Freilassung Nelson Mandelas.
Am 11. Februar verließ der 70-Jährige das Victor-Verster-Gefängnis. Begeisterte Menschenmassen führten ihn in einem Triumphzug zur Kapstadter City Hall. Ein Jahr später vereinbarten Mandela und die Apartheid-Regierung, einen Kongress aller Parteien einzuberufen, der eine Verfassung ausarbeiten sollte.
Trotz dieses Ausgleichs überschatteten Kämpfe mit Tausenden Toten die
Weitere Kostenlose Bücher