Spiegelblut
einen Lichtträger der Äonen oder der Weltlinienkrümmung.«
»Er würde dir zwanzig Lichtträger ersten Ranges zur Verfügung stellen.«
»Zwanzig?« So wie Damontez die Zahl aussprach, musste das Angebot seine Vorstellungen weit übersteigen. »Ersten Ranges?«
»Unter anderem einen Visionär.«
»Die taugen oft nichts. Zwanzig sind viel, aber nicht genug. Außerdem liegt es nicht nur in meinem Ermessen, sondern ist die Entscheidung von Myra und Noah.«
Beide saßen mit uns am Tisch und verhielten sich ruhig. Ich fragte mich, wie sich das Machtverhältnis zwischen Vampiren und Lichtträgern wirklich gestaltete, ob es tatsächlich so etwas wie Gleichberechtigung gab. So wie ich es bisher verstanden hatte, bestand ein Vampir-Clan aus einem Stammesvampir – der im Sanctus Cor ganz offensichtlich Damontez war – und seinem Gefolge aus anderen Vampiren und Lichtträgern. Die Lichtträger schienen wertvoll, fast wie eine Kapitalanlage des Clans, und das Königshaus kontrollierte die Clans scheinbar im Sinne einer oberen Gerichtsbarkeit.
»Wir bleiben natürlich hier«, sagte Noah jetzt entschieden. »Es sei denn, du möchtest, dass wir nach Rom wechseln, Damontez.«
»Nein.«
Wieder folgte Vampir-Latein.
Unruhig rutschte ich auf meinem Platz herum. Ich hatte so viele Fragen. Zum Beispiel, wieso man freiwillig bei Damontez blieb und nicht in das Königshaus wechselte.
Irgendwann räusperte sich jemand hinter uns. Ich schloss kurz die Augen. Bitte nicht noch ein Vampir, sonst würde mein Blut bald vor Hochspannung Blasen werfen.
»Ich muss dich sprechen.« Pontus . Oh nein! Das konnte nicht gut gehen. Bitte verschwinde so schnell wie möglich !
»Dann setz dich!«
»Es ist privat.« Pontus klang unnachgiebig.
»Du möchtest doch auch, dass er uns Gesellschaft leistet, oder Coco-Marie?«
Da war sie wieder, diese Stille, in der jeder spekulierte, was ich tun würde, oder tun musste. Trotzig starrte ich vor mich hin, wollte mich einfach weigern, ihn anzusehen, überlegte mir, was der Rest meines Stolzes besser ertrug: einen öffentlichen Hieb in den Nacken für Ungehorsam oder ein demütiges, winziges Blinzeln vor all diesen Lichtträgern und Vampiren. Ich hoffte, die Zeit meines Zögerns würde mir die Entscheidung abnehmen und er die Geduld verlieren, aber er blieb ruhig, wiederholte seine Frage auch nicht. Ich begriff, dass es schlimmer wurde, je länger ich wartete, weil jeder meinen Kampf mit ansah – diese ungleiche Machtprobe, die ich letztendlich so oder so verlieren würde.
Aber ich wartete doch … immer länger, ich begann zu zählen, wie so oft, wenn ich nervös wurde. Ich wusste nicht, wem ich damit etwas beweisen wollte – mir, Damontez oder den Lichtträgern. Als ich bei einunddreißig ankam, knallte meine rechte Wange zwischen Orangensaft und Kuchen auf die Tischplatte. Es ging so schnell, dass ich noch nicht einmal aufschreien konnte. Hinter meiner Schläfe und dem Jochbein donnerte mein Puls gegen den heißen Schmerz an.
Damontez blieb ruhig, ließ mich nur seine Hand im Genick spüren, seine kalten Finger, die mich rückhaltlos auf den Tisch pressten, so dass ich meinen Kopf nicht mal um einen Millimeter anheben konnte.
»Eine Antwort bitte.«
Ich sammelte Hass in meinem Blick wie in einem Auffangbecken, fest davon überzeugt, mich nicht kleinkriegen zu lassen, wenn ich ihn ansah. Aber mein Atem und mein Widerstand wurden regelrecht von ihm zermalmt. Seine Iris schwamm auf dem Weiß, als wäre sie aus dunklem Blut hineingegossen, und ich vergaß einen Herzschlag lang, wieso ich überhaupt mit dem Kopf auf dem Tisch lag. Ich musste geblinzelt haben, denn meine Lider flimmerten heiß – einmal, zweimal –, doch er ließ mich nicht los. Stattdessen wandte er sich an Cristin, als hätte es nie einen Zwischenfall gegeben.
»Sag Edoardo, dass man seine kostbarsten Novizen nicht verhökert wie Diebesgut.« Er saß unbewegt neben mir, und obwohl sie keine andere Sprache benutzten, verstand ich nichts mehr von dem, was sie sagten. Alle Lichtträger schwiegen, auch Myra fehlten scheinbar die Worte. Dafür griff sie wieder meine Finger, und ich quetschte ihre Hand so fest, dass sie leise aufstöhnte. In diese Stille hinein schlug eine Tür zu – Pontus war gegangen, ohne mir zu helfen. Aber was hätte er schon tun können? Er hatte Damontez sein Wort gegeben, ihm sämtliche Freiheiten mit mir zu gewähren.
Cristin beugte sich weiter zu mir. Er war dunkelblond, mit seegrünen Augen, und
Weitere Kostenlose Bücher