Spiel, bis du stirbst (Samantha Veselkova Krimi) (German Edition)
Barbie-Puppen spielen wollte.“ Sam machte eine kleine Pause, und fuhr dann fort: „Ich tat ihr den Gefallen. Plötzlich war ein Schrei zu hören. Er war gedämpft, trotzdem war mir irgendwie klar, dass er sehr laut ausgestoßen worden sein musste. Die Stimme war die des jüngeren Bruders von Barbara. Es war kein spielerisches Gröhlen, sondern ein panikerfüllter, gequälter Schrei. Man kann es nicht beschreiben, aber wenn du einen solchen Schrei einmal hörst, dann wirst du sofort den Unterschied erkennen.“ Nika kuschelte sich fest von hinten an die auf der Seite liegende Sam. „Ich fragte Barbara, was das gewesen war, doch meine Freundin tat so, als hätte sie es gar nicht gehört. Natürlich merkte ich ihr an, dass sie log, also stand ich auf und lief zur Tür. Babs wollte mich zurück halten, sagte, dass wir das Zimmer nicht verlassen dürften, aber das war mir egal. Weil der Schrei so gedämpft war, nahm ich an, dass er von unten kam, daher ging ich hinunter. Frage mich nicht warum, aber instinktiv suchte ich die Tür, die zum Keller führte. Als ich sie öffnete, hörte ich das Wimmern des Jungen.“
„Wie alt war er?“, wollte Nika wissen.
„Ich glaube, er war damals neun oder zehn.“
„Wie ging es weiter?“
„Ich bin die Treppe hinuntergestürmt. Der Mann hörte mich nicht, denn ich hatte keine Schuhe an. In dem Moment, in dem ich den Keller betrat, war mir sofort klar, was da vor sich ging. Zwar war ich selbst noch ein Kind, aber in einem Heim lernt man sehr früh, was es so alles an Schlechtem in der Welt gibt.“
„War es das, was ich vermute?“
„Ich denke schon. Barbaras Pflegevater vergewaltigte den Jungen. Es war mir sofort klar, weil ich schon einiges von Vergewaltigungen gehört hatte. Weißt du, was komisch ist?“
„Was denn?“
„Dass ich überhaupt keine Angst hatte. Theoretisch wäre es ja möglich gewesen, dass der Mann auch über mich herfallen würde, aber darum machte ich mir überhaupt keine Gedanken. Ich betrat den Kellerraum und schaute mich nach etwas um, das ich zum Schlagen benutzen konnte. Einfach so, als wäre das ganz selbstverständlich. Ich vermute, dass mich die wenigen Jahre bei meinen Adoptiveltern so gemacht haben. Sie hatten sich so vorbildlich um mich gekümmert, mich von Anfang an mit intelligenten Dingen beschäftigt, und mich zu großer Selbständigkeit erzogen. Vieles von dem, was sie mir sagten, verstand ich damals noch gar nicht wirklich, aber mein Unterbewusstsein hatte es trotzdem teilweise umgesetzt. Es ist so ungerecht, dass so tolle Menschen so früh sterben müssen.“
„Hast du etwas gefunden? Ich meine, etwas, womit du zuschlagen konntest?“
„Ja, natürlich“, sagte Sam, als wenn es absolut abwegig gewesen wäre, etwas anderes zu vermuten. „Auf einem Sideboard direkt neben der Tür stand ein massiver Kerzenleuchter. Wenn ich heute an ihn denke, dann vermute ich, dass er aus Messing war. Der Mann hatte den Rücken zu mir gewandt, also war es leicht für mich. Ich nahm den Leuchter, und schlug mehrmals so fest ich konnte auf seinen Kopf. Damals hatte ich bereits einige Jahre Kampfsport gemacht, so dass ich wusste, dass ich mit viel Schwung am meisten erreichen konnte. Offenbar hatte ich es richtig gemacht, denn der Mann war nach dem ersten Schlag bewusstlos und hatte in seinem Kopf eine blutende Wunde.“
Als Sam nicht weitererzählte, fragte Nika: „Und was ist dann passiert?“
„Ich habe die 110 angerufen. Als die Polizei kam, steckte der Schwanz von Barbaras Vater noch immer in Julians After. Ich hatte mich nicht getraut, den Mann da wegzuziehen, weil ich nicht wusste, ob ich damit Julian noch mehr wehtue. Der Junge war auch nicht ansprechbar, er wimmerte nur die ganze Zeit leise, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als seine Hand zu halten und ständig zu wiederholen, dass alles wieder gut werden würde. In jedem Fall hatte die Polizei den Mann somit im wahrsten Sinne des Wortes auf frischer Tat erwischt. Es kam natürlich heraus, dass auch Barbara missbraucht worden war, was mich nicht im Geringsten wunderte. Aber das war noch nicht alles. Man fand auch noch ein totes Kind, das er auf dem Gewissen hatte. Er wanderte jedenfalls sehr schnell ins Gefängnis.“
„Und er hatte dich nie angefasst?“
„Ich hätte ihm seinen verdammten Schwanz abgebissen, wenn er es versucht hätte. Aber er hat es auch nie probiert. Als ich ihn kennen gelernt hatte, war er sehr freundlich zu mir gewesen. Ich hätte nicht gedacht,
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