Spiel der Angst (German Edition)
nur, dass einer ihrer Mitstudenten ein seltsames Spiel mit ihr spielen würde, sondern dass es dabei auch um Leben und Tod ging. Noch mehr zu erklären, hätte viel zu lange gedauert und wahrscheinlich nur dazu geführt, dass Lisa Emily für komplett paranoid hielt.
»Nebukadnezar, der Herrscher von Babylon«, sagte Lisa. »Die Stelle, die dieser seltsame Typ meint, der dir immer SMS schreibt, steht, wie gesagt, am Anfang des Buches Daniel im Alten Testament. Und Nebukadnezar träumte schlecht.«
Emily nickte. Heute Nacht würde sie auch schlecht träumen. Wenn sie denn überhaupt schlafen könnte.
Lisa fuhr fort: »Er träumte von einem gigantischen Standbild mit einem Kopf aus Gold, einer silbernen Brust, kupfernen Hüften, eisernen Beinen und tönernen Füßen. Er sorgte sich um die Zukunft seines Reiches und beauftragte unterschiedliche Seher, seinen Traum zu deuten.«
»Hat er ihnen von seinen Träumen erzählt?« Das war Ryan.
»Nein, der war recht anspruchsvoll«, antwortete Lisa. »Sie mussten nicht nur seine Träume deuten, sondern vorher auch herausfinden, was er geträumt hatte.«
»Was für ein Quatsch«, meinte Emily. »Woher sollten die das wissen?«
»Da musst du Nebukadnezar fragen, aber genau deswegen waren sie wahrscheinlich Seher.« Lisa blätterte weiter. »Alle anderen scheiterten auch und wurden zur Strafe in einen Feuerofen geworfen.«
Ryan schüttelte den Kopf. »Sitten hatten die.«
Emily schaute abwechselnd auf die Bibel und auf die Uhr. Noch fünfundzwanzig Minuten.
»Alle scheiterten«, sagte Lisa. »Bis auf den Propheten Daniel. Der deutete den Traum so: Der Kopf aus Gold, so Daniel, war das babylonische Großreich, die Brust war das persische Reich, die Hüften waren Griechenland, und die Beine und Füße aus Eisen und Ton sollten das römische Imperium darstellen. Es war das Fundament, auf dem der Koloss stand und aus dem einmal der Westen und Europa entstehen sollten.«
Emily rückte näher an Ryan heran. »Okay. Und?«
Lisa sprach weiter. »All diese Reiche, so prophezeite Daniel dem König, würden nacheinander untergehen.«
»Der Koloss auf tönernen Füßen«, sagte Ryan. »Diese Redewendung. Kommt das …?«
Lisa nickte. »Das müsste aus dieser Prophezeiung stammen. Nebukadnezar jedenfalls warf sich vor Ehrfurcht vor Daniel nieder und beschloss, den Gott des Alten Testaments anzubeten.«
Emily schaute auf den Text.
Sucht den Koloss in diesem Traum. Im Schließfach mit seiner Nummer findet Ihr den Schlüssel.
28
»Gut, und was machen wir jetzt damit?«, fragte Emily. Die Zeit brannte ihr unter den Nägeln. Und sie ärgerte sich, dass die anderen beiden offenbar glaubten, sie hätten alle Zeit der Welt. Wahrscheinlich musste sie wirklich Julia dabei haben, die hatte sie auch in London schon begleitet. Die wusste, wie das ablief. »Hier ist von einem Schließfach die Rede. Mit seiner Nummer. Mit welcher Nummer?«
»Kann das ein Tresorschließfach sein? Und wir müssen eine Kombination eingeben?« Ryan gähnte und kratzte sich am Kopf.
»Ich hole mal meine Sachen.« Emily ging zurück zu dem Platz, wo sie ihre Tasche und ihre Jacke hingelegt hatte. Sie blinzelte.
Hatte der Umschlag eben auch schon dort gelegen?
Darauf stand ihr Name.
Für Emily.
Sie dachte nicht lange nach und öffnete den Umschlag.
Darin war ein Schlüssel.
Und ein Brief.
Sie hielt die Luft an und schaute sich um.
Er ist hier gewesen! Er war an ihrem Platz, während Emily, Lisa und Ryan am Bücherregal am anderen Ende des Raumes zugange gewesen waren. Irgendjemand war hier gewesen! Der Irre? Der Spieler? Oder irgendeiner aus seiner Brut? Einer wie dieser William, dieser Bill, der ihm offenbar so hörig gewesen war, dass er sich für seinen Meister vor eine U-Bahn geworfen hatte? So einer schlich hier mitten in der Nacht um sie herum?
Noch zwanzig Minuten.
Sie atmete tief durch und nahm den Umschlag so, als würde sie eine giftige Schlange anfassen. Ebenso den Brief und Schlüssel und rannte zurück zu den anderen. Besser in Gesellschaft sein, wenn dieser Psychopath hier irgendwo herumlief.
»Er war hier«, sagte sie. »Das scheint der Schlüssel zu sein, den wir suchen.«
Lisa und Ryan hatten keine Zeit, Fragen zu stellen, denn Emily sprach schon weiter: »Der Brief ist genau so kryptisch, wie man es von Jonathan kennt.«
Herodot schrieb von Babylon, stand dort.
Er schrieb auch vom Persischen Reich. Dort, wo das in großer Schrift steht, was er geschrieben hat, passt dieser
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