Spiel der Teufel
Er fühlte sich heute auf eine besondere
Weise zu ihr hingezogen, doch wenn man ihn gefragt
hätte, woran das lag, er hätte keine Antwort darauf gehabt.
Pünktlich um halb elf kam ein Renault Clio auf den Parkplatz,
hielt direkt neben Henning, das Fenster wurde runtergelassen,
und die Frau, deren Gesicht in der Dunkelheit nicht zu erkennen
war, sagte: »Folgen Sie mir, es sind nur ein paar hundert Meter.«
Nur wenige Minuten später stoppten sie vor einem mehrstöckigen
Haus, das nur zwei Blocks von dem Haus entfernt
war, in dem Henning wohnte. Sie befanden sich in der düstersten
Gegend von Kiel, in der gerade in letzter Zeit immer
häufiger Überfälle begangen wurden und Gangs sich bekriegten,
die Polizei jedoch dem machtlos gegenüberstand.
Aber daran dachte Henning jetzt nicht.
MITTWOCH, 16.30 UHR
Lennart Loose verabschiedete sich von Frau Mattern und sagte,
dass sie auch ruhig früher Schluss machen könne, sie schiebe
ohnehin viel zu viele Uberstunden.
»Danke. Aber ich sollte Ihnen noch ausrichten, dass Dr. Stein
noch einmal angerufen hat, vor etwa einer Viertelstunde.«
»Hat er eine Nachricht hinterlassen?«
»Nein, er hat nur gefragt, ob Sie zu sprechen seien. Er will es
später auf Ihrem Handy noch einmal probieren. Ich habe ihm
jedoch gesagt, dass Sie heute noch einen wichtigen Termin
haben.«
»Das war gut. Ich muss los. Schönen Abend noch.«
Sein Herz schlug dumpf gegen seinen Brustkorb, sein Mund
war trocken, als hätte er seit Tagen nichts getrunken. Er fuhr
zum Hauptbahnhof und blieb noch ungefähr zehn Minuten
sitzen, bevor er ausstieg und sich zum Eingang begab. Kaum
dort angekommen, sah er einen weißen Lieferwagen mit der
Aufschrift eines Blumengeschäfts direkt vor ihm halten, in
dem zwei Männer saßen, von denen einer heraussprang und
in akzentfreiem Deutsch sagte: »Prof. Loose?«
»Ja.«
»Steigen Sie hinten ein, ich setze mich zu Ihnen.«
»Wo fahren wir hin?«
»Zur Klinik. Bitte«, sagte der Mann, der trotz des trüben Wetters
eine Sonnenbrille trug und die Tür von innen zuschlug,
nachdem Loose auf einem komfortablen Sitz Platz genommen
hatte. Der Mann klopfte zweimal gegen die undurchsichtige
Trennwand, woraufhin sich der Lieferwagen in Bewegung
setzte.
»Wie lange werden wir unterwegs sein?«, fragte Loose.
»Nicht länger als eine halbe Stunde. Haben Sie ein Handy dabei?
«
»Ja.«
»Dann schalten Sie es bitte aus, Sie sind zurzeit nicht erreichbar.
«
Loose holte das Telefon aus seiner Tasche und folgte der Aufforderung.
»Haben Sie etwas zu trinken hier?«
»Nein, leider nicht«, antwortete der Mann höflich. »Aber in
der Klinik gibt es alles, was das Herz begehrt. Sie brauchen
auch keine Angst zu haben, niemand wird Ihnen etwas tun,
wenn Sie sich an die Anweisungen halten.«
»Welche Anweisungen?«
»Prof. Loose, ich möchte Sie bitten, mich nicht mehr zu fragen,
ich darf Ihnen keine Antwort geben. Ich heiße übrigens
Oleg.«
Loose nickte nur und senkte den Blick, obwohl es fast vollkommen
dunkel war und er kaum etwas sah, schon gar nicht,
in welche Richtung sie sich bewegten. Da war nur das Klappern
des Metalls, das ihn an seine Zeit als Rettungssanitäter
erinnerte, die er durchlaufen hatte, bevor er in der Klinik seines
Vaters anfing. Die Krankenwagen klapperten und schepperten
bei jeder Bewegung, bei jeder Unebenheit, und genauso war es
hier. Sie fuhren nicht schnell, der Fahrer hielt sich offenbar genau
an die Geschwindigkeitsbegrenzung, weshalb Loose vermutete, dass sie sich entweder noch in der Stadt oder auf einer
Land- oder Bundesstraße befanden. Er dachte an seine Frau
und die Kinder und hoffte, sie würden nie erfahren, mit welchen
Leuten er es zu tun hatte. Er schickte ein Stoßgebet nach
dem andern zum Himmel, und doch wusste er, dass es nichts
nützen würde. Er war einer Organisation ausgeliefert, die er
nicht kannte, von der er nie etwas gehört hatte, die aber extrem
gefährlich war. Allein wie diese Elena und ihr Kumpan Igor
mit ihm gesprochen hatten, ließ keinen Zweifel offen, was geschehen
würde, wenn er sich nicht bedingungslos ihren Forderungen
unterwarf.
Noch während er in Gedanken versunken war, stoppte der
Lieferwagen, um wenige Sekunden später langsam weiterzufahren,
über Kies oder Schotter, wie Loose vermutete. Kurz
darauf hielt er endgültig, der Motor wurde ausgestellt, die Tür
aufgestoßen, und der Mann sprang hinaus und sagte: »Wir sind
da.«
Sie
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