Spiel des Schicksals
»Es wäre besser, den Sand draußen zu lassen. Er wird deine Kehle und deine Lungen austrocknen. Die Luft hier ist sehr trocken und staubig. Deshalb hat sich in Ägypten alles so gut konserviert. Es ist weniger dem Mumifizierungsprozeß als der Wüstenluft zuzuschreiben, daß die Leichname der Pharaonen von Ägypten uns bis heute erhalten geblieben sind.«
»Dieser Tempel ist unglaublich!« entfuhr es mir. »Kann man hineingehen?«
»Ja, bis auf die oberste Terrasse, die gegenwärtig von einer Gruppe polnischer Archäologen restauriert wird. Die mittlere Terrasse wurde von den Amerikanern wiederhergestellt, die erste von den Franzosen. Siehst du, die Schätze Ägyptens sind wirklich die Schätze der ganzen Menschheit.«
Nach Der el-Bahri schlugen wir wieder einen Bogen in Richtung Nil und befuhren eine sehr staubige, holprige Straße. Als wir an einer staatlichen Raststätte vorbeikamen, bot Achmed mir an, für ein Glas Tee halt zu machen. Doch ich schüttelte nur den Kopf. Das Tal der Könige war nahe, zu nahe, und ich hatte es eilig. Die jähen Felsabbrüche des Tals lagen bereits die ganze Zeit zu unserer Linken, während wir der Straße folgten, die daran entlangführt. Das Tal der Könige befindet sich jenseits dieser steilen Klippen, und der Weg dorthin ist lang und umständlich.
»Sind bis heute noch nicht alle Gräber entdeckt?« fragte ich nach einer Weile.
»Überraschenderweise, Lydia, liegen noch sehr viele Dinge unter Ägyptens Sand verborgen. Aber mein Land ist zu arm, um für archäologische Grabungen Geld auszugeben, denn es ist kostspielig, und andere Nationen investieren ihre Mittel lieber in gewinnbringendere Objekte. Ja, es muß noch viele Gräber und viele Tempel geben, die noch nicht ausgegraben sind. Doch du mußt bedenken, daß es ungewöhnlich ist, auf ein völlig intaktes Grab zu stoßen. Gräber wie die von Tutenchamun und Königin Hetepheres sind selten.«
»Warum?«
»Wegen der Grabräuber.«
»Kann man denen nicht das Handwerk legen?« Er lachte. »Ich meine die Grabräuber aus pharaonischen Zeiten. Unglücklicherweise haben nur sehr wenige Pharaonen ihre Schätze nach dem Tod genießen können, so sehr sie sich auch bemühten, ihre Grabstätten geheimzuhalten. Priester ließen sich oft bestechen.«
»Wie kam es dann, daß Tutenchamun unversehrt blieb?«
»Wir wissen es nicht. Das kann purer Zufall gewesen sein. Aber ein Grab zu finden, das nicht leer ist, das noch alle Schätze birgt, die ihm in der Stunde der Beerdigung beigegeben wurden, Lydia, das wäre großartig!«
Ich starrte auf die uns umgebende Wüste hinaus – schon lange hatten wir die Bauernsiedlungen hinter uns gelassen – und versuchte mir alle Könige und Königinnen vorzustellen, die noch unter dem Sand schlummerten. Dann riß ich die Augen auf. »Mein Schakal!«
»Ja?«
»Mein kleiner Schakal stammt wahrscheinlich aus einem solchen Grab. Das muß es sein, was Adele am Telefon damit meinte, daß er ›alles erklären‹ würde.«
»Jetzt begreifst du die Bedeutung von alledem. Die Geheimhaltungspflicht. Die Notwendigkeit, die Wahrheit zu erfahren.«
»Allmächtiger…« Ich nahm meine Handtasche und drückte sie an meine Brust. Der Schakal war da drinnen. Ein kleines Stück Elfenbein, das vielleicht der erste Schatz aus einem neuentdeckten Grab war – ein Grab, von dem niemand wußte, daß es existierte, eines, das noch alle Besitztümer des Pharaos enthielt.
»Wenn es tatsächlich so ein Grab gibt, Lydia, dann werden wir an der aufsehenerregendsten Entdeckung seit Tutenchamun mitwirken! Seiten über Seiten ägyptischer Geschichte werden ergänzt werden.
Journalisten aus aller Welt werden kommen und über unsere Geschichte schreiben. Tausende von Besuchern werden Tag für Tag eintreffen, genauso wie damals. Die Touristen werden ihr Geld bringen und damit meinem Land helfen. Ich kann die Bedeutung der Sache, in die wir wahrscheinlich verwickelt sind, gar nicht genug betonen. Und deshalb, Lydia, dürfen wir einen Mann wie Arnold Rossiter nicht vor uns zu dem Grab gelangen lassen.«
Als er das sagte, lehnte ich meine Stirn gegen das Fenster und schloß die Augen. Wie kann das nur sein? schrie es aus meiner Seele. Wie können seine Worte so aufrichtig, so hingebungsvoll klingen, wo er doch gemeinsame Sache mit Schweitzer und Rossiter macht, denselben Männern, die er so überzeugend verurteilte? Mein Herz klopfte zum Zerspringen, als wir uns dem Tal näherten und ich vor uns in einer Felsnische eine
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