Spiel des Schicksals
dritten Glases Bourbon mit Wasser austrank, zog ich im Geiste Bilanz über meine Lage. Ein winziger Trost war, daß Achmed Raschid von meiner Abreise nicht unterrichtet war – dessen war ich gewiß –, und es beruhigte mich ein wenig, dem Zugriff dieses rätselhaften Mannes entronnen zu sein, dessen Gegenwart allein mich schon ganz nervös machte. Ein noch größerer Trost war, daß John Treadwell, nachdem er Adeles Mitteilung gelesen hatte, darauf bestanden hatte, mich zu begleiten. Und nachdem er sich erst einmal dazu entschlossen hatte, ließ er sich durch nichts davon abbringen. Er befand sich nämlich in dem festen Glauben, daß er nun ebenso tief in die mysteriöse Geschichte verwickelt sei wie ich und daß seine gefühlsmäßige Beziehung zu mir alle anderen Pläne, die er vielleicht vorher gehabt hatte, ausschließe. Diese glühende Beteuerung seiner Zuneigung zu mir war nicht ohne Wirkung auf mich geblieben. Es war lange her, daß ein Mann solche Gefühle für mich gezeigt hatte, und ich war davon gerührt. Zu sagen, daß ich John Treadwell liebte, wäre an diesem Punkt wohl zu früh gewesen, denn die Umstände erlaubten mir wirklich nicht, mich mit etwas anderem als mit Adele und ihrem verfluchten Schakal zu befassen. Indes wußte ich, daß ich mich wahrscheinlich nur zu leicht in John verliebt hätte, wenn wir uns unter normalen Umständen, in einer weniger angespannten Lage begegnet wären.
Wie die Dinge nun einmal standen, hatte seine Gegenwart an meiner Seite, während wir das Mittelmeer überflogen, eine beruhigende Wirkung auf mich. Es fiel mir leichter, meine Gedanken zu ordnen, meine finanzielle Situation abzuschätzen und sogar über mögliche Alternativen nachzudenken, falls Adele nicht zu finden wäre. »Vielleicht will sie einfach, daß Sie ihr um die Welt folgen«, meinte John.
Ich nickte und sah mein Spiegelbild in der Fensterscheibe, die von einem schwarzen Himmel hinterfangen wurde. Wir würden um drei Uhr morgens in Ägypten landen. »Es ist bestimmt nicht von Vorteil für Sie, John, daß Sie Ihre Arbeit einfach so im Stich lassen.« Er nahm meine Hand und antwortete beschwichtigend: »Das haben wir doch alles bereits durchgesprochen. Ich werde bei Ihnen bleiben, bis Sie Ihre Schwester gefunden haben. Ich bin zwar noch nie in Ägypten gewesen, aber ich kann mir denken, daß es nicht der geeignete Ort für eine alleinreisende junge Frau ist. In Kairo treiben sich bestimmt eine Menge finsterer Gestalten herum.« Ich nickte wieder und dachte dabei an Achmed Raschid. Abermals hatte ich beschlossen, John nichts von ihm zu erzählen. Er war in Rom zurückgeblieben, und ich war seinen nervtötenden, plötzlichen Auftritten entronnen. Warum sollte ich noch mehr Verwirrung in die Angelegenheit bringen?
Am internationalen Flughafen von Kairo, der fünfzehn Kilometer außerhalb der Stadt in der Wüste liegt, mußten für unsere Ankunft offensichtlich erst einige Leute extra geweckt werden, denn John und ich waren die einzigen Passagiere, die in Kairo von Bord gingen. Jede Menge uniformierte Araber, alle zuvorkommend und freundlich, waren zu unserer Abfertigung erforderlich, als wir durch den Zoll gingen, vorbei am Visum-Schalter, an einem Schalter der ägyptischen Nationalbank, an der Gesundheitskontrolle und so weiter. Während wir unser Geld in ägyptische Pfunde eintauschten, was uns den Erwerb befristeter Visa ermöglichte, wurden John und ich überall von freundlichen, lachenden Menschen begrüßt. Als wir dann endlich, nach zahlreichen Willkommensrufen und guten Wünschen in Arabisch und gebrochenem Englisch, in den Flughafen selbst entlassen wurden, liefen wir, behutsam einen Schritt vor den anderen setzend, über die Fußböden, die gerade mit peinlicher Sorgfalt gesäubert wurden. Wir hatten keine Schwierigkeit, vor dem Gebäude ein Taxi zu bekommen. Ein verschmitzt lächelnder Araber nahm unsere Koffer entgegen und ließ uns in sein kleines Auto einsteigen, das innen mit Blumen, Papiervögeln und bunten Gebetsketten geschmückt war. John sagte: »Shepheard’s Hotel«, und schon ging es los. Obwohl die Straßen zu dieser nächtlichen Stunde leer waren, empfand ich unsere Fahrt als qualvoll, vor allem wegen des mörderischen Tempos. Der Fahrer raste wie wahnsinnig, und mich beschlich das beklemmende Gefühl, daß es sich in dieser Stadt mit allem so verhalten könnte. Ich erinnerte mich an den haarsträubenden Verkehr in Rom und ahnte, daß ich in Kairo noch viel wachsamer sein mußte.
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