Spiel des Schicksals
einen Brief an Dr. Kellerman zu schreiben. Ich konnte mir gut vorstellen, daß er ihn erhielt, bevor es mir irgendwann gelang, eine Telefonverbindung herzustellen, aber dann… Was konnte ich ihm schon berichten? Lieber Dr. Kellerman: Sie werden es nicht glauben, aber im Augenblick wohne ich bei einem ägyptischen Geheimagenten, der mich vor einem Mörder versteckt hält, und die Kairoer Polizei war vorgestern hinter mir her, weil sie dachte, ich hätte einen Bekannten getötet, mit dem ich von Rom hierher gereist war. Erinnern Sie sich an den Schakal, den ich Ihnen gezeigt habe? Es scheint, daß sehr viele Leute darauf erpicht sind, ihn mir abzujagen. Dieser Geheimagent, sein Name ist Achmed Raschid, meint, ich könnte seinetwegen umgebracht werden. Das versucht er jedoch zu verhindern, weil ich ihm aus irgendeinem Grund, den er mir nicht verraten will, behilflich sein soll, meine Schwester zu finden. Ich verlebe eine schöne Zeit und Wünschte, Sie wären hier. Diesen Brief habe ich nie geschrieben. Vielleicht, so hoffte ich, würde ich bald in der Lage sein, Dr. Kellerman persönlich darüber zu berichten.
Als Achmed Raschid endlich nach Hause kam, war ich froh, ihn zu sehen. Die Nervenprobe im Muski hatte mich ängstlich und unruhig gemacht, so daß ich mich den ganzen Tag nicht aus meiner Anspannung hatte lösen können. Ich war viel auf und ab gelaufen, hatte ein paarmal durch die Fensterläden gespäht und mich mit zahllosen Plänen beschäftigt, die ich für mich selbst ins Auge fassen mußte. An erster Stelle stand die Frage: Wie lange kann das so weitergehen? Ich versteckte mich nun schon den dritten Tag in der Wohnung Raschids, und es war keine Änderung der Lage absehbar. Wie sollte ich Adele je finden, wenn ich so untätig und nutzlos herumsaß? Und immer wieder ertappte ich mich bei der Überlegung, was dieser Achmed Raschid in der Angelegenheit eigentlich unternahm. Statt des gewohnten Anzugs trug er diesmal ein Sweatshirt und Jeans, was ihm ein lässiges, fast amerikanisches Aussehen verlieh. Er begrüßte mich herzlich, lächelte ungezwungen und schien in keiner Weise bekümmert zu sein. Sofort setzte er heißes Wasser für Tee auf.
»Haben Sie etwas Neues in Erfahrung bringen können, Mr. Raschid?«
»Ihre Schwester ist noch nicht ins Shepheard’s Hotel zurückgekehrt.«
Das überraschte mich nicht, und ich hatte daran auch gar nicht gedacht. »Sonst nichts?«
Er zuckte lässig die Schultern, und endlich war er mit der Zubereitung des Tees fertig. »Miss Harris, bitte setzen Sie sich. Zuerst werden wir Tee trinken. Danach muß ich Ihnen etwas berichten.« Da ich nicht damit vertraut war, den Klang seiner Stimme zu deuten, vermochte ich nicht zu sagen, ob damit die Ankündigung von etwas Ernstem gemeint war, oder ob er nur höflich war. Doch ich erkannte, daß ich mich nach ihm richten mußte, und so ging ich zurück ins Wohnzimmer und wartete geduldig, bis er sich mit dem Tee zu mir gesellte.
»Also los.« Ich setzte mich neben ihn auf die Couch. Der schwache Duft seines Rasierwassers erinnerte mich an den Geruch in seinem Schlafzimmer. »Worum handelt es sich?«
»Was wollen Sie Ihrer Schwester sagen, wenn Sie sie wiedersehen?« fragte er, während er den Tee einschenkte.
»Was ich ihr sagen will? Das ist eine merkwürdige Frage, die Sie mir da stellen. Warum wollen Sie das wissen?«
»Nun, Miss Harris, es ist wichtig, daß Sie aufpassen, was Sie zu ihr sagen. Sie müssen sich daran erinnern, daß ich aus einem anderen Grund nach ihr suche als Sie.«
»Und Sie befürchten, daß ich mich verplappere und Sie dabei verrate?«
»Wie bitte?«
»Ich meine… Sie haben Angst, daß ich ihr von Ihnen erzähle?«
»Genau.«
»Nun.« Ich überlegte einen Augenblick. »Ich habe eigentlich noch gar nicht darüber nachgedacht. Ich habe vor, sie zu fragen, was zum Teufel ihr in Rom zugestoßen ist und warum sie nicht im Shepheard’s Hotel war, wie sie es mir im Brief versprochen hatte. Ich will auch, daß sie mir die Bedeutung des Schakals erklärt. Abgesehen davon… vielleicht werden wir über die Vergangenheit reden, uns erzählen, was wir in den letzten vier Jahren gemacht haben…« Ich verstummte, als ich mir meine launenhafte Schwester ins Gedächtnis rief. In Wahrheit hatte ich keine Ahnung, was ich ihr sagen würde. Ich war nur daran interessiert, sie zu finden.
»Aber wenn Sie mit ihr sprechen, werden Sie ihr dann bestimmt nichts von mir erzählen?«
»Wenn Sie es nicht wollen,
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