Spiel mir das Lied vom Glück
zwischen Haus und Pick-up hin und her. Dann begannen wir, Lydias Eier einzupacken, dutzendweise. In jeden Karton legten wir weiße, hellbraune, hellblaue und hellgrüne Eier. Anschließend stapelten wir sie in dem Pick-up, den wir uns von Stash geliehen hatten.
Als es allmählich heller wurde, fuhren wir ins Stadtzentrum. Anders als sonst brummte es hier vor Geschäftigkeit. Freunde und Nachbarn winkten uns zu, als wir die Pick-ups parkten. Wir stellten unsere Tische auf. Mit Hilfe von Bohrern befestigten wir die Standeinfassungen, die Stash aus Sperrholz gebaut hatte und die von Lara bemalt worden waren.
Meiner bescheidenen Meinung nach hatten sich Stash und Lara selbst übertroffen. Mein Stand hatte die Form eines Schokoladentrüffels. Lara hatte ihn in einem satten Braun angemalt, obendrüber stand in Gold »Julias Schokolade«. Lydias Stand hatte Stash wie ein großes Ei gestaltet. Lara hatte ihn hellblau angemalt, an den Seiten prangten kleine Hühner, Hähne und Küken. Darüber stand: »Tante Lydias berühmte Eier«.
Das 50 . Stadtfest von Golden zog Besucher aus einem Umkreis von fünfzig Meilen an, auch aus der Stadt. Die Farmer verkauften Obst und Gemüse, Apfelcidre, Kartoffeln, Tomaten, Salat, Mais und so weiter. Kunsthandwerker und Künstler stellten ihre Werke aus. Stash erzählte mir später, Minie Bachman verkaufe ihren superscharfen Meerrettich und erzähle jedem, sie hätte von ihrer zahnlosen deutschen Großmutter gelernt, wie man richtigen Meerrettich züchtete.
Die Band der High School würde am Nachmittag und am frühen Abend spielen. Drei Kirchen schickten ihre Chöre. Alte Männer spielten Mundharmonika. Junge Männer und Frauen sangen Rap. Bernie, der Zahnarzt, führte seine Jonglierkünste vor. Seine Frau Elizabeth schminkte die Kinder. Ihr Sohn Henry machte Tierfiguren aus Luftballons.
Tante Lydia behauptete, die Einwohner von Golden würden sich den ganzen Tag auf dem Fest aufhalten. Das Feuerwerk sollte den krönenden Abschluss bilden.
Ich lud die Schachteln aus meinem Pick-up und stapelte sie hinter meinem Stand.
Hoffentlich würde jemand meine Schokolade kaufen. Ich hoffte es wirklich.
Das Feuerwerk explodierte im Nachthimmel.
In unseren Ständen hörten Tante Lydia und ich, wie die Zuschauer »Oh!« und »Ah!« riefen. Einer hatte damit angefangen, die anderen waren eingefallen. Die spinnen, die Leute in Golden, dachte ich, und dann musste ich lachen.
Liebenswerte Spinner, die meine Schokolade mochten.
Ich war völlig ausverkauft. Jedes Stückchen Schokolade, jede Praline, alles war fort.
Es war Wahnsinn.
»Ich kann es nicht glauben«, sagte ich zu Tante Lydia und schob mir die Locken aus der Stirn.
»Ich schon.« Sie umarmte mich und klopfte mir auf den Po. »Ich schon.«
Sechzehn Stunden hatte ich heute auf dem Fest verbracht, und alle – Nachbarn, Freunde, der Bürgermeister, der Leiter der Feuerwehr, seine Frau, ihre Kinder, die Lehrer, der Schuldirektor, fast jeder, den ich in Golden kannte – hatten meine Schokolade gekauft. Die meisten waren mehr als einmal gekommen.
Caroline besuchte mich, aber sie wirkte beunruhigt, unaufmerksam. Ihr linkes Auge zwinkerte unkontrolliert. »Ich bekomme irgendwelche … da stimmt was nicht«, sagte sie unsicher. »Ich kann es nicht einordnen. Ich weiß nicht, wer es ist. Und wo. Aber irgendwas stimmt nicht … Ich sehe Kinder. Sie sind verletzt, aber ich weiß nicht, wo sie hingehören. Ihre Gesichter sind im Dunkeln.« Sie winkte ab, versuchte zu lächeln. Sie wirkte krank. Ich nahm sie in den Arm, dann ging sie. Kurz war mir schlecht vor Sorge, doch dann kamen mehrere Kunden, die meine Schokolade kaufen wollten.
Mehr als eine Pinkelpause hatte ich mir nicht gegönnt.
Es geschehen noch Zeichen und Wunder, dachte ich. Selbst einer verängstigten, unförmigen, zeitungsaustragenden, entlobten Märchentante auf der Flucht.
Allerdings geschehen die.
Am Sonntagmorgen lieferte ich Zeitungen aus. Dean wartete an seinem Briefkasten auf mich. Ich stieg aus dem Wagen und reichte ihm sein Exemplar mit einer Verbeugung. Er nahm es, legte es auf den Boden und gab mir einen Kuss. »Herzlichen Glückwunsch, mein Schatz«, sagte er. Er freute sich so sehr für mich, dass ich nur noch erröten konnte. »Ich habe dir ja gesagt, dass du die beste Schokolade der Welt machst. Aber wahrscheinlich mussten dich erst mal Hunderte anderer Leute davon überzeugen«, sagte er und gab mir noch einen Kuss. Er lächelte lässig, vielsagend und
Weitere Kostenlose Bücher