Spiel mir das Lied vom Glück
etwas. Einer bot mir sogar eine Zigarette an. Habe ich sogar geraucht.« Jerry seufzte.
Ich legte meine Hand auf Jerrys. Ich hatte gehört, dass er rund um die Uhr arbeitete. Selbst seine Gemeindemitglieder machten sich langsam Sorgen um ihn. Er sah krank aus, richtig schlecht. Hätte man ihm seine braunen Locken abgeschnitten, hätte man denken können, er unterziehe sich zusammen mit Lydia einer Chemotherapie.
Tante Lydia trug einen rosa Baumwollschal um den Kopf, den die alte Agnes und ihre Schwester Thelba für sie gestrickt hatten, aber nur weil es so kalt war, »dass einem Schwein der Schwanz vom Arsch abfrieren würde«, wie sie mir erklärt hatte.
Ich betrachtete Laras Foto in der Zeitschrift. Wie flüssiges Gold wallte ihr das Haar auf die Schultern. Sie trug ein schlichtes glänzendes Top, einen rosa Häkelponcho, eine schwarze Lederhose und kniehohe schwarze Stiefel. Sie sah aus wie Lara und war es doch nicht. Sie lächelte nicht und wirkte nicht besonders
glücklich, was sie für die New Yorker natürlich noch attraktiver machte. Dort mag man es, wenn Künstler von Angst, Verzweiflung und Not angetrieben werden. Lara sah sexy aus, aber nicht warmherzig.
Ich muss gestehen, dass ich verdammt stolz auf sie war. Sie war aus der kleinen, einengenden Zelle ausgebrochen, in der sie aufgewachsen war, dann hatte sie ein Leben verlassen, das sie nicht mehr ertragen konnte. Ich konnte diese Frau gut verstehen.
Dennoch war Jerry wirklich ein Superfang. Lara hatte mir selbst erzählt, dass er immer liebevoll, nett und aufmerksam war. Er sei auch toll im Bett, sie beschwerte sich nur, dass er immerzu mit ihr schlafen wolle. »Und er tut alles, um mich rumzukriegen«, hatte sie einmal gelacht. »Er kocht ein dreigängiges Abendessen, massiert mich, macht mir Kaffee und Omeletts, die mit jedem erdenklichen Gemüse gefüllt sind … o ja, der Kerl weiß wirklich, wie man eine Frau ins Bett bekommt.«
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendeine Frau Jerry den Laufpass geben würde. Zuzusehen, wie der Mann jeden Tag tiefer im schwarzen Loch der Depression versank, gab mir das Gefühl, als bekäme ich täglich einen Vorschlaghammer an den Kopf.
»Ihr Vater ruft mich ständig an. Lara erwidert seine Anrufe angeblich nicht. Er tobt und schreit. Seiner Meinung nach ist der schwule Einfluss von Laras Bruder an allem schuld. Ihr Bruder hätte sie zu diesem ›Lebensstil‹ verführt.« Ungläubig schüttelte Jerry den Kopf. »Ihre Mutter ruft an und weint.«
Ich dachte an die furchtbaren Dinge, die Lara über ihren Vater gesagt hatte, wie er sie mit der Bibel in der einen und dem Gürtel in der anderen Hand großgezogen hatte, dass ihre Mutter danebengestanden und zugelassen hatte, wie dieser dominierende Mann ihre Tochter kontrollierte, als sei sie eine Kuh und er der Bauer. Ihre Feigheit war widerwärtig.
»Vor zwei Wochen hat er mich angerufen und herumgeschrien, Lara würde schnurstracks in die Hölle kommen, wenn ich nicht meine Rechte als Ehemann ausübte und sie zurück in die Kirche zerrte. ›Sie muss sich dir unterwerfen, sie muss ihrem Mann gehorchen‹, schrie er immer wieder, dann zitierte er aus der Bibel und meinte, Lara wäre immer schon rebellisch gewesen, obwohl er dafür gesorgt hätte, dass sie als Kind stundenlang auf den Knien um Vergebung bitten musste. Wie er Lara behandelt hat, davon wird mir schlecht. Ich konnte es mir einfach nicht länger anhören.«
»Und was hast du getan, mein Junge?«, wollte Stash wissen. Er schob Jerry ein Glas Scotch zu. Jerry nickte höflich, würde es aber nicht anrühren, das wusste ich.
»Ich hab ihm gesagt, er soll die Schnauze halten.«
Schockiertes Schweigen.
Jerry lachte, aber es war ein trockenes, bitteres Lachen. »Dieser Mann ist ein Tyrann, Laras Mutter ist ein heulender Schwächling, und ich schwöre, ich
schwöre
, dass ich diese beiden nicht mehr in Laras Nähe lassen werde, falls sie jemals zu mir zurückkehrt. Ich habe sie von den ständigen Mäkeleien ihres Vaters und der unterwürfigen Haltung ihrer Mutter fortgeholt, weil ich nicht wollte, dass diese beiden kranken Heuchler Lara noch länger wehtun können.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Jerry hatte versucht, Lara vor ihren Eltern zu schützen. Ob Lara das bekannt war?
»Ich weiß nicht, wie Lara zu dem werden konnte, was sie ist. So ein freundlicher, umsichtiger, liebevoller, kluger und offener Mensch. Nicht voller Vorurteile und scheinheilig wie ihre Eltern. Ihr Vater hat mit
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