Spiel mir das Lied vom Glück
stimmte.
Bei Sandstrom galt das Gesetz, und jeder hatte sich danach zu richten. Ohne Ausnahme.
Auf Tante Lydias Feier hatte ich allerdings einen nicht ganz so furchteinflößenden Mann gesehen. Seine vier Söhne wohnten noch immer in Golden. Einer nach dem anderen hatte aufgrund der schlechten Konjunktur seine Arbeit verloren. Jetzt nahmen sie lange Wege zu ihren neuen Arbeitsplätzen in Kauf, damit die Familie nicht auseinanderbrach. Sandstrom hatte vierzehn Enkelkinder.
Es war bewegend für mich gewesen, diesen großen Mann mit seiner Frau Julie, den Kindern und Enkelkindern tanzen zu sehen. Ich hoffte, dass ein Mann, der seine Frau und Schwiegertöchter so sehr liebte, einer zunehmend paranoiden und durchgedrehten Frau wie mir gegenüber Mitgefühl empfinden könnte.
Deshalb rief ich an, um einen Termin zu vereinbaren. Becky Coldwell, seine langjährige Sekretärin, stellte mich in die Warteschleife, wohl um in den Terminkalender ihres Chefs zu schauen.
»Sie können sofort kommen«, sagte sie dann. »Er freut sich, Sie zu sehen.«
Also fuhr ich umgehend los und saß dann vor Polizeichef Standstrom, der zwanzig Jahre in der Navy und auch kurze Zeit Amateurboxer gewesen war. Er war äußerst gepflegt, sein grauschwarzes Haar war sauber gekämmt, die Uniform perfekt gebügelt.
Ich erzählte ihm alles.
Ich fing mit meiner Flucht am Hochzeitstag an und erwartete, Missbilligung in seinen Augen zu sehen, doch er nickte nur. Ich erklärte, warum ich davongelaufen sei, dass ich einfach zu oft geschlagen worden sei. »Sehr klug«, sagte er mit seiner Baritonstimme. »Spät, aber trotzdem klug von Ihnen, die Initiative zu ergreifen. Kein unschuldiges Wesen verdient es, geschlagen zu werden, nur Boxer.«
Ich erzählte ihm von den leeren Briefen, von der toten Katze, dem toten Huhn. Von dem Brief, in dem »Du fehlst mir« stand. Ich erklärte ihm, dass Robert auf dem Weg zu mir sei.
Und schloss mit der Bemerkung, ich glaube nicht, dass Sandstrom etwas für mich tun könne.
»Junge Dame, wenn es nur das Geringste gibt, das ich für Sie tun kann, dann betrachten Sie es als erledigt. Ich habe nichts übrig für Schläger, egal ob sie Männer oder Frauen prügeln. Sie haben nicht zufällig ein Foto von ihm?«
Das hatte ich nicht, aber ich konnte ihn auf die Homepage der familieneigenen Firma verweisen.
»Ist er das hier?«, fragte Sandstrom, als er sie im Computer aufgerufen hatte.
Ich wollte nicht hinsehen, tat es schließlich aber doch, und augenblicklich wurde mir schlecht. Ich nickte und ließ mich in den Sessel sinken.
»Hm, ein hübsches Kerlchen, was?« Sandstrom beäugte mich. »Entspannen Sie sich. Becky, würdest du unserer Freundin Julia einen Kaffee und einen Donut holen?«
Becky brachte einen Kaffee und einen Donut und drückte mich.
»Haben Sie Dean davon erzählt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
Ich merkte, dass ich rot wurde, sagte aber dennoch die Wahrheit. »Es ist mir peinlich. Ich will ihn da nicht mit hineinziehen.«
Chief Sandstrom nickte. »Aber Sie müssen es ihm sagen.«
»Ich kann nicht.«
»Ich verrate Ihnen, warum, Julia. Dean Garrett ist ein wichtiger Anwalt in Portland. Er weiß, welche rechtlichen Schritte Sie unternehmen können. Ich kümmere mich um die kriminelle Seite des Ganzen, das heißt, ich rufe die Polizei in der Heimatstadt Ihres Ex-Freundes an, schicke jemanden zu ihm ins Büro oder nach Hause, der mit ihm spricht, und berichte Ihnen anschließend davon. Aber Dean könnte gleichzeitig wirklich fiese Rechtsanwaltsschreiben aufsetzen, die Ihnen dieses Ekel hoffentlich vom Halse schaffen.«
Nein, kein Rechtsanwaltsschreiben der Welt würde mir Robert vom Hals halten, auch wenn die Vorstellung nett war. »Ich würde es Dean ja sagen, aber … «
»Aber was?«, hakte Sandstrom nach. Becky klopfte mir auf die Schulter.
»Ich schäme mich so.« Wie sollte ich es bloß ausdrücken? Ich wollte Dean nicht in die Lage versetzen, mich retten zu müssen. Ich wollte nicht die Sorte Frau sein, die gerettet werden musste. Dafür war unsere Beziehung zu frisch. Ich wollte ihn nicht in meine chaotische Vergangenheit hineinziehen. So etwas konnte man von niemandem verlangen. Roberts Familie war wohlhabend und einflussreich.
»Sagen Sie es Dean! Ich rufe im Osten an und sorge dafür, dass die Sache in Bewegung kommt. Wir sprechen hier von einem Verbrechen. Stalking, das ist hartnäckiges Nachstellen
und Einschüchtern, außerdem ist es ein Verbrechen gegen die
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