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Spiel mir das Lied vom Glück

Spiel mir das Lied vom Glück

Titel: Spiel mir das Lied vom Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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besser geworden bist!«
    Böse funkelte Ms. Cutter mich an und verschränkte die Hände vor dem Bauch. »Also, wirklich, Julia! Wir wollen den jungen Leuten keine falschen Versprechungen machen. Lesen ist eine große Kraftanstrengung. Shawn, du darfst nicht vergessen, dass eine Bibliothek ein ernsthafter Ort ist. Bitte zeige deine Achtung, indem du beim nächsten Mal saubere Sachen trägst und dein Haar kämmst, bevor du hereinkommst.«
    Mir fiel die Kinnlade herunter.
    Ms. Cutter nahm Shawn die Bücher fort. »Du hast keinen Bibliotheksausweis, Shawn, du kannst keine Bücher ausleihen. Deine Mutter muss eine Karte für dich unterschreiben.«
    Shawn wollte etwas sagen, besann sich aber eines Besseren und blickte zu Boden.
    »Aber deine Mutter kommt ja nie mit, weil sie so viel andere Sachen zu tun hat. Also musst du die Bücher hierlassen. So, los jetzt! Ab nach draußen!«
    Stumm vor Staunen sah ich zu, wie Ms. Cutter Shawn abführte. Sorgsam wahrte sie Abstand zu dem Jungen, hielt eine Hand ausgestreckt, damit er vor ihr ging. Shawn schlurfte mit gesenktem Kopf nach draußen.
    Ich musste mich kurz hinsetzen. War das tatsächlich passiert? War sie wirklich so gemein gewesen? Kurz darauf stand ich wieder auf und räumte die Bücher ein, die Shawn und ich gelesen hatten. Ich war stinksauer auf Ms. Cutter, weil sie dem Jungen das Gefühl gegeben hatte, hier nicht willkommen zu sein.
    Es dauerte nicht lange, da war der Geier zurück. Ihre lange Nase stak tatsächlich aus ihrem Gesicht hervor wie der Schnabel eines Raubvogels.
    »Ms. Bennett!« Der Geier stützte die Hände in die knochigen Hüften und grinste höhnisch. Sie erinnerte mich an die Schwiegermutter, die ich beinahe bekommen hätte. »Ich weiß, dass Sie noch keine Erfahrung haben und viel lernen müssen, aber wir wollen doch, bitte schön, nicht das Gesindel dieser
Stadt hier verwöhnen. Wir können diesen Bereich nicht zu einer Pflegeeinrichtung für die Kinder der – wie soll ich mich ausdrücken? – weniger erwünschten Familien machen.«
    Wieder war ich sprachlos. Eine Frau wie diese war in einer Stadt wie Monroe für die öffentliche Bücherei zuständig? »Ich dachte, Bibliotheken wären für alle da«, entgegnete ich. »Nicht nur für erwünschte Familien.«
    Sie schnaubte verächtlich. »Wir fördern hier eine bestimmte Atmosphäre, die Ihnen vielleicht nicht so bekannt ist. Unsere Bibliothek ist wichtig für uns hier in Monroe, sehr wichtig. Die Menschen wollen nicht durch Problemkinder abgelenkt werden, wenn sie hier sind.«
    Ich schaute mich um. Es waren zwei Besucher da. Ein Mann um die achtzig saß über eine Enzyklopädie gebeugt. Roxy Bell hatte mir erzählte, er komme jeden Tag und blättere in der Enzyklopädie. Er habe sie schon zweimal von A bis Z gelesen. Der andere Gast war eine grauhaarige Frau. Sie hatte sich drei Bücher ausgesucht und wollte gerade gehen.
    »Shawn war überhaupt kein Problemkind, Ms. Cutter. Er hat gut zugehört und war sehr ruhig. Schließlich hatten wir ja Lesestunde.«
    »Es reicht!« Wieder hielt mir Ms. Cutter die Hand vor das Gesicht. Ich sah die Falten auf ihrer Handfläche. »Ich diskutiere nicht mit Ihnen. Seit zwanzig Jahren leite ich diese Bibliothek. Der Verwaltungsrat vertraut mir, das Richtige zu tun, und das hier halte ich für das Richtige. Hiermit ist die Diskussion beendet. Gehen Sie nach vorne zum Tisch, dann können Sie anfangen, Bücher einzusortieren.«
    Sie machte auf dem Absatz kehrt. Wehmütig dachte ich an Shawn. Dann ging ich nach vorne und sortierte alle Bücher ein, ohne Ms. Cutter noch eines Blickes zu würdigen. Roxy Bell und ich unterhielten uns eine Weile, bis der Geier uns mitteilte, wir hätten noch genug Zeit zum Reden, wenn wir nicht auf Kosten des Steuerzahlers arbeiteten.
    Am nächsten Tag hoffte ich, dass Shawn wiederkommen würde.
    Er kam tatsächlich.
    Ms. Cutters Gesicht wurde rot wie eine Tomate, aber sie sagte nichts, als ich ihn mit einem breiten Grinsen begrüßte. Er hatte seine Schwester mitgebracht, Carrie Lynn. Sie war sehr klein. Ihr Haar hatte die gleiche Farbe wie das von Shawn und war ebenso verfilzt. Carrie Lynn hatte große blaue Kulleraugen und hohle Wangen. Sie wirkte erschöpft und verängstigt. Ihr Blick sagte mir, dass sie schon zu viel vom Leben gesehen hatte. Mit beiden Händen hielt sie Shawns Hand umklammert. Über ihrem linken Arm hing ein schmuddeliges Tuch.
    »Das ist Carrie Lynn. Sie ist sechs Jahre. Sie spricht nicht viel«, stellte Shawn seine

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