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Spiel mir das Lied vom Glück

Spiel mir das Lied vom Glück

Titel: Spiel mir das Lied vom Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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dich!«, sagte ich, und die Tränen liefen mir die Wangen hinunter. »Verpiss dich und verschwinde!«
    Wie aus dem Nichts schnellte ihre Hand hervor. Mein Kopf schlug gegen die Wand. Als die Sternchen verschwanden, richtete ich mich auf. Ich ließ nicht locker: »Wie konntest du einem Kind so etwas antun? Wie konntest du mir das antun?«
    »Ich hab dir nichts getan.« Sie stand nun ganz nah vor mir. »Das hast du alles selbst getan.«
    »Ich selbst? Ich habe mich selbst geschlagen? Hab mir nichts zu essen geben? Ach, ja?«
    »Allerdings! Du hast dir ständig Ärger eingebrockt. Bist zu den Nachbarn gelaufen, zu den Lehrern und zu anderen Wichtigtuern. Die haben dann bei der Polizei und beim Jugendamt angerufen, und ich durfte mal wieder erklären, dass du dir alles nur ausgedacht hattest.«
    »Ich? Ich habe mir das ausgedacht?« Ich schluckte den Kloß im Hals hinunter.
    »Ja, du.« Sie zeigte auf mich.
    »Ich bin nicht zu anderen Leuten gelaufen. Die kamen von selbst. Sie sahen, wie dünn ich war, sahen die Löcher in meinen Schuhen, mein verfilztes Haar, wie dreckig ich war –«
    »Du hast doch keine Ahnung! Ich habe geschuftet, um dich –«
    »Hör auf!«, schrie ich. »Hör auf, verdammt nochmal! Du hättest mich nie bekommen dürfen, mich nie behalten dürfen! Du hattest kein Recht, mich zu behalten. Null!«
    Als sie zum zweiten Mal die Hand gegen mich hob, blockte ich den Schlag ab. Und den nächsten. Mein Portemonnaie fiel hinter mir zu Boden, die Münzen klimperten in alle Richtungen.
    Als meiner Mutter klar wurde, dass ich mich nicht in die Ecke hocken und schützend die Hände vor den Kopf halten würde wie früher, stapfte sie von dannen, jedoch nicht ohne vorher ein Bild von der Wand zu reißen, das Foto einer offenen Pralinenpackung, und es nach mir zu werfen.
    Als sie fort war, sammelte ich alle Geldstücke ein, die auf dem Boden lagen, bis ich nicht mehr weinte. Als ich durch die Tränen blicken konnte, holte ich mir ein Backbuch und machte eine Mousse-au-chocolat-Torte. Mit zitternden Händen zerdrückte ich die Kekse für den Boden, schlug die Eier auf, schmolz die Schokolade.
    Wenn meine Mutter nach Boston zurückkehrte und einen
neuen Telefonanschluss bekäme, würde Robert sie früher oder später ausfindig machen. Da ich weder den Nachnamen ihres letztens Freundes kannte noch wusste, in welchem Ort in Minnesota sie lebten, beziehungsweise ob es überhaupt Minnesota war, konnte ich sie nicht erreichen und sie bitten, nichts zu verraten. Ein Handy konnte sie sich nicht leisten.
    Doch selbst wenn ich meiner Mutter das Versprechen abnahm, Robert nichts von Tante Lydia zu erzählen, würde das nichts helfen. Er würde meine Mutter besuchen und ihr Honig ums Maul schmieren. Das würde nicht funktionieren. In der Manipulation anderer Menschen war meine Mutter die Größte. Noch besser als Robert.
    Aber Geld wirkte Wunder. Und Robert warf damit nur so um sich, als bekäme er von jedem ausgegebenen Dollar einen Ständer. Ich nahm an, dass meine Mutter ihm um die 5000 Dollar abschwatzen würde. Dafür würde sie ihm alles verraten, was er wissen musste, und er würde nach den überlebensgroßen Schweinen vor Tante Lydias Haus Ausschau halten.
    Mehr bräuchte Robert nicht. Er und meine Mutter würden sich noch ein wenig angiften, dann wäre er fort … Sein Privatflugzeug wartete schon darauf, ihn nach Oregon zu fliegen, wo er mir das Leben zur Hölle machen würde.
    Ich merkte, dass meine Hände kalt wurden und kribbelten. Mein Körper erstarrte, als die Angstkrankheit die Kontrolle übernahm. Ich stellte mir vor, wie mein Blut durch die Adern strömte. Die Luft in meiner Lunge wurde knapper, mir wurde schwindelig. Ich ließ den Eierkorb fallen und lehnte mich gegen einen Heuballen. Zum Glück war Tante Lydia nicht mehr im Hühnerstall.
    Mir trat der Schweiß auf die Stirn, dann lief er mir an der Nase herunter. Meine Beine begannen wild zu zittern. Ich zitterte dagegen an, weil ich wusste, dass das manchmal half. Es ging auf den Höhepunkt zu. Jetzt hatte ich keine Luft mehr. Ich dachte, ich müsste sterben. Wieder mal. Ich hustete.
    Es kam mir vor, als hätte ich mich stundenlang gegen den Heuballen gelehnt und zu atmen gehofft.
    Plötzlich legten sich starke warme Arme um meine Taille. Ich schrie auf. Staunend stellte ich fest, ohne Luft schreien zu können, dann durchschoss mich der Gedanke, Robert hätte mich gefunden.
    Doch es waren nicht Roberts kritische, kalte Augen, in die ich blickte, sondern

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