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Spiel mir das Lied vom Glück

Spiel mir das Lied vom Glück

Titel: Spiel mir das Lied vom Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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im Anzug war, doch in einem seltenen Anflug von Tapferkeit beschloss ich, gegen die Krankheit anzukämpfen. Mit aller Kraft drückte ich die Tür auf und stolperte aus dem Wagen heraus.
    Es war noch früh am Morgen, und ich musste noch zehn Zeitungen ausliefern, doch in dem Moment dachte ich nicht daran, welche Unannehmlichkeiten ich den Menschen bescherte, die an diesem Tag auf ihre Zeitung würden warten müssen. Ohne mich umzusehen, lief ich die Böschung hinauf auf die andere Straßenseite. In Höchstgeschwindigkeit überquerte ich ein Feld. Ich kannte es und wusste, dass auf der anderen Seite ein Wald war, in dem ich mich verstecken könnte. Der durch den Wald fließende Bach würde mich zurück zur Stadt führen.
    Ich hörte meinen schweren Atem, der Schweiß stand mir auf der Stirn, obwohl es eiskalt war. Ich stürzte in den Wald.
Als ich nicht mehr laufen konnte, sah ich mich um, konnte aber niemanden entdecken. Ich versteckte mich hinter einem Felsen, spähte in die Dunkelheit, versuchte Luft zu bekommen, musterte jeden Baum, alles um mich herum, überzeugt davon, dass Robert jeden Moment mit irgendeinem grausamen Folterinstrument hervorspringen würde.
    Es kam mir vor, als wartete ich Stunden hinter dem Felsen. Schließlich kroch ich hervor und schaute mich um. Inzwischen blitzte die Sonne zwischen den Bäumen hindurch. Das Licht nahm mir etwas von der Angst, im dunklen Wald zu sein, doch die Vorstellung, von Robert verfolgt zu werden, war schlimmer als meine Angst vor wilden Tieren.
    Als ich meinte, die Luft sei rein, und wieder halbwegs atmen konnte, lief ich durch den Wald und über einen Hügel und erreichte die Stadt von hinten. Im Zentrum erblickte ich Donald, einen Freund von Stash. Er ging gerade am Gemischtwarenladen vorbei. Ich war so erleichtert, Donald zu sehen, dass ich ihm fast um den Hals fiel. Mit seinem Pick-up brachte er mich zu Tante Lydia und stotterte fast bei dem Bemühen, mich zu beruhigen und mir zu helfen. Tante Lydia rief Stash an, der binnen Kürze kam.
    Stash befahl Tante Lydia, ihre Gewehre hervorzuholen. Dann fuhr er mit mehreren Angestellten los, um mein Auto zu holen und Robert zu suchen. Fünf seiner Erntehelfer standen um unser Haus Wache. Tante Lydia hatte alle Rollos heruntergezogen bis auf einen Schlitz, durch den sie mit dem Finger am Abzug ein Gewehr geschoben hatte.
    Stash blieb lange fort, doch als er zurückkam, grinste er. Er nahm mich in den Arm und erklärte mir, mein Reifen sei geplatzt, das hätte sich wie ein Schuss angehört. Der Stein stecke noch im Profil. Sein Mitarbeiter Dave legte mir die Hand auf die Schulter. Ein anderer sagte: »So ein Pech! Bitte, Julia, gönn dir ein Gläschen und leg dich hin. Danach fühlst du dich wie neugeboren.«
    Lydia sackte erleichtert auf der Couch zusammen und rührte sich stundenlang nicht mehr.
    Ich ging ins Bett. Ich war zu erschöpft, um mich zu schämen.
    Erst später wurde mir bewusst, dass mich die Angstkrankheit diesmal nicht völlig besiegt hatte. Aus Angst vor Robert hatte ich Atemprobleme gehabt und kaum Luft bekommen. Aber ich war nicht erstickt, ich hatte weitergeatmet. Ich funktionierte noch.
    Ich konnte nicht anders: So viel Schiss ich am Morgen auch gehabt hatte, jetzt war ich stolz auf mich.
    Ich hatte gegen die Angstkrankheit gewonnen. Zum ersten Mal. Das war doch schon was.
     
    Wenn man Carrie Lynn so sah, wäre man nie auf die Idee gekommen, dass sie unglaublich gut Drachen malen konnte.
    Und Rüstungen.
    Und Schlösser.
    Und eine Prinzessin, die sehr viel Ähnlichkeit mit, nun ja, mit mir hatte.
    Aber sie konnte es tatsächlich.
    Ich fand es heraus, als ich über ein großes Stück Fleischerpapier gebeugt dasaß und einen Aushang für unsere neue tägliche Kinderlesestunde machen wollte. Ich blies mir die Locken aus dem Gesicht. Ich war mit meiner Geduld am Ende.
    Eine Weile betrachteten mich Shawn und Carrie Lynn dabei, wie ich versuchte, einen Drachen mit einer Krone auf dem Kopf zu malen.
    Schwanz, Körper und Kopf des Drachen hatte ich schon gezeichnet, nur das Gesicht bekam ich nicht hin. Zum dritten Mal schon radierte ich die Augen weg, vor Frust seufzend. Dieser dämliche Drache! Dieses bescheuerte Tier! Dann sah er halt wie ein Riesenschwein mit Schneckenaugen aus!
    Carrie Lynn berührte mich am Arm. Ihre kleinen Finger waren warm. »Darf ich mal?«
    Ich gab ihr den Stift. Warum auch nicht? Wahrscheinlich konnte jeder einen besseren Drachen mit Krone malen als ich. Carrie Lynn beugte sich

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