Spiel mir das Lied vom Glück
liebsten hätte ich sie getreten. In dem Moment wusste ich nicht, wer schlimmer war, Ms. Cutter oder die Mutter der beiden.
Der Geier richtete sich zu voller Größe auf. »Diese Bibliothek ist weder eine Wohlfahrtseinrichtung noch ein Heim für verwahrloste Kinder.«
Ich sagte Shawn und Carrie Lynn, sie sollten in der Kinderecke auf mich warten. Es war Montag, die beiden sahen wieder blass und erschöpft aus. Da sie eine Heidenangst vor Ms. Cutter hatten, liefen sie los, so schnell sie konnten. Ich wusste, dass sich Carrie Lynn die Decke über den Kopf ziehen würde, sobald sie sich hinsetzte.
Ich war fuchsteufelswild. Sah Ms. Cutter denn nicht, dass die beiden Hilfe brauchten?
»Shawn und Carrie Lynn sind Bürger dieser Stadt und haben das gute Recht, diese Bücherei zu nutzen. Sie können mir beim Einsortieren der Bücher helfen.«
»Wir sind keine Babysitter, Ms. Bennett. Ich verbitte mir das.«
Da stand ich und machte mir klar, dass diese Frau sich verbat, Kinder hereinzulassen, die dringend eine Zuflucht vor ihrem grausamen Zuhause brauchten.
Roxy Bell erhob sich von ihrem Schreibtisch und stellte sich hinter mich.
»Ms. Cutter, es ist Ihnen gelungen, alle Kinder und Mütter dieser Stadt aus der Bibliothek zu vertreiben.«
Ms. Cutter machte ein Gesicht, als hätte sie gerade gesehen, dass sich ein nackter Mann mit Krokodilmaske hinter den Büchern über Steuerrecht versteckte. »Das stimmt ja gar nicht! Ich bestehe darauf, dass in meiner Bibliothek Ruhe herrscht, das wollen die Mütter heutzutage nicht einsehen.«
»Die Mütter heutzutage würden wahrscheinlich gerne mit ihren Kindern zur Lesestunde kommen. Auch andere Menschen möchten sich bestimmt gerne in ihrer Bücherei willkommen fühlen. Wahrscheinlich würden sie gerne Bücher ausleihen.«
Ms. Cutter verschränkte die Arme vor der Brust. »Jetzt reicht es! Ich werde mich beim Komitee über Sie beschweren. Dort wird man wissen, was man von Ihrer Sorge um abgehalfterte Kinder mit einer Nutte als Mutter zu halten hat.«
Ich wusste mehr über Nutten als Mütter, als mir lieb war. Und ich hatte eine ziemlich gute Vorstellung von dem Leben, das diese Mutter Shawn und Carrie Lynn bot. Außerdem war ich überzeugt, dass alle Kinder in einer Bücherei willkommen sein sollten. Ich war dort willkommen, und Shawn und Carrie Lynn verdienten es ebenfalls, auch wenn ihre Mutter anschaffen ging.
Ich marschierte zu Ms. Cutters Schreibtisch und öffnete mit
einem Schlüssel, der unter ihren Stifthalter geklebt war, die unterste Schublade.
»Finger weg von meinem Tisch, auf der Stelle! Sie sind gefeuert, Ms. Bennett! Schluss, aus! Verlassen Sie diesen Raum!«
Ich holte eine Flasche Wodka hervor. Und zwei Fläschchen mit Whiskey und Rum.
Ms. Cutter erstarrte.
Roxy Bell fiel die Kinnlade herunter.
»Ich schätze, das Komitee wird sich freuen zu hören, was Sie in Ihrem Schreibtisch haben, Olivia«, sagte ich, absichtlich ihren Vornamen benutzend. »Ich nehme an, es wird die Mitglieder des Komitees wie auch den Rest des Gemeinderats sehr belustigen. Sowie deren Angetraute, Freunde und Verwandte. Selbst die Hunde der Verwandten dürfte das interessieren. Können Sie sich vorstellen, wie die Leute hier über Sie lachen werden?«
Ms. Cutter wurde leichenblass. Ich hasste mich für das, was ich gerade tat. Ich wollte Shawn und Carrie Lynn helfen, aber niemanden demütigen oder verletzen. Nicht mal einen so bitterbösen Menschen wie Ms. Cutter.
»Wir können doch bestimmt«, sagte ich, legte die Flaschen zurück in die Schublade, schloss sie zu und schob den Schlüssel unter den Stifthalter, »etwas finden, das Shawn und Carrie Lynn tun können, oder?«
Ms. Cutter nickte mit hängenden Schultern. Ihr Gesicht war grau.
»Ja, bestimmt«, brachte sie hervor.
Roxy Bell klatschte in die Hände und ließ ihre roten Pumps klackern. Ihre weißen Locken wippten.
14
Ich saß im Auto und lieferte Zeitungen aus. Plötzlich gab es einen ohrenbetäubenden Knall. Instinktiv barg ich den Kopf in den Armen. Robert hatte mich gefunden und schoss auf mich! Das Auto fuhr in einen Graben und überschlug sich. Ich schrie, obwohl ich wusste, dass mich auf dieser Landstraße niemand hören konnte. Ich schob mich auf den Beifahrersitz, um auszusteigen. Bestimmt stürzte Robert auf mich zu, in der Hand ein Messer oder eine Spitzhacke. Ungezügelte Wut verzerrte sein Gesicht zu einer Maske des Hasses und der Rache.
Schon bekam ich keine Luft mehr, spürte, dass die Angstkrankheit
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