Spiel mit dem Feuer
ihm war.
Es war nur eine vage Hoffnung, aber vielleicht hatte sie ja irgend etwas
zurückgelassen, was mir einen Hinweis darauf gab, wo sie jetzt war. Die Tür war
zu, und ich zögerte kurz, ehe ich sie öffnete.
Es liegt mir nicht sonderlich, in
anderer Leute Privatsphäre herumzuschnüffeln, aber in meinem Job ist das ein
notwendiges Übel. Dennoch — nach den Übergriffen, die mein Leben vor zwei
Monaten beinahe ruiniert hatten, kostete es mich erst recht Überwindung.
Schließlich drückte ich die Tür auf und trat ein. Drinnen herrschte Chaos,
genau wie in Glennas Arbeitsräumen zu Hause im Piergebäude. Das Bett war
ungemacht; am Fußende zusammengeknautschte Laken zeigten an, dass ihre Nächte
hier ebenso unruhig waren wie die, die sie im La’i Cottage zubrachte. Über
sämtlichen Einrichtungsgegenständen hingen Kleider, so auch über dem Kopf einer
halbmeterhohen japanischen Statue. Halb leere Becher und Gläser schimmelten auf
den Nachttischen vor sich hin. Ich begann mit der Durchsuchung und kauerte
schließlich am Boden, um die Bücher und Zeitschriftenstapel neben dem Bett
durchzugehen. Einer davon kippte um, und ich musste unterm Bett herumtasten.
Meine Hand stieß auf etwas, das sich
wie ein Koffer anfühlte. Ich hob den Volant, guckte drunter durch und sah einen
Aktenkoffer — ockerfarben, mit Zahlenschloss. Er war abgenutzt, das Leder
schartig und verkratzt. Als ich ihn herauszog, bemerkte ich halb verblasste
Goldlettern über dem Schloß: A. J. C.
Nicht Glennas Koffer also. Aber er sah
aus wie der, den mir Jillian beschrieben hatte. Was hatte er hier zu suchen?
Er war nicht verschlossen. Ich guckte
rein und sah eine unbeschriftete Faltmappe. Sie enthielt nur drei Dinge: einen
vergilbten Pergaminumschlag, einen Boardingpass-Abschnitt und ein
China-Airlines-Ticket. Der benutzte Teil des Tickets bewies, dass eine Ms. A.
Carew am 6. September 1992 von Taipeh nach Honolulu geflogen war; der
unbenutzte Teil war für einen Flug von Honolulu nach JKF, am 11. September.
Dem Tag, an dem Hurrikan Iniki
zugeschlagen hatte.
Der Boardingpass-Abschnitt stammte von
einem Aloha-Airlines-Flug, Honolulu-Lihue, am 6. September. Ein Rückflugticket
war nicht vorhanden. Ich öffnete den Umschlag und zog ein zusammengefaltetes
Blatt Briefpapier heraus. Darauf standen drei Worte in einer rückwärts
geneigten Handschrift: »Bitte verzeih uns.« Wem? Was?
Vielleicht konnte Peter es mir sagen.
Das Köfferchen musste aus seinem Cottage stammen, da Jillian dort danach
gesucht hatte. Ich legte die Faltmappe zurück, schloss den Koffer und machte
mich auf den Weg zum Cottage. Doch als ich dort ankam, fand ich es leer.
Verdammt, wo war er? Ich hatte doch gesagt, er solle hier bleiben, für den
Fall, dass Glenna anrief. Vielleicht hatte sie ja angerufen und ihn gebeten,
sie irgendwo abzuholen. Oder er musste sich um eine weitere Familienkrise
kümmern.
Ich ging zurück ins Malihini House und
zog mich für die Beerdigung um — Rock und Bluse. Dann ging ich schauen, ob mich
einer der Gärtner nach Waipuna fahren konnte, wo der Datsun immer noch vor dem
Shack stand.
Die Frau im Hubschrauberservice-Büro
neben dem Supermarkt erklärte mir, Russ sei unterwegs, werde aber zum
Trauergottesdienst zurück sein. Um mir die Zeit zu vertreiben, ging ich in die
Deli-Abteilung des Supermarkts, orderte ein Pastrami-Sandwich mit einer wilden
Mischung weiterer Zutaten und ging damit zu einer Steinbank im Einkaufskomplex
gegenüber. Kinder vergnügten sich auf den Schaukeln und dem Klettergerüst, während
ihre Mütter von den nahen Picknicktischen aus zusahen. Das idyllische
Kleinstadtleben ging seinen Gang ohne jede Hektik, und ich war offenbar die
Einzige, die aus diesem ruhigen Rhythmus herausfiel. Ich biss gierig in mein
Sandwich, merkte dann, dass ich nur aus Frust so schlang, und zwang mich,
langsamer zu essen.
Als ich fertig war, knüllte ich das
Papier zusammen, warf es in einen Mülleimer, setzte mich wieder hin und sah den
Kindern zu. Ein kleines Mädchen erinnerte mich an Casey, die ungefähr in diesem
Alter gewesen war, als ihre Mutter starb. Casey, das Kind, das Elson Wellbright
Tanner überlassen hatte. Ich dachte an eine Passage aus seinem Tagebuch, von
dem Tag, an dem sie laut Einwohnerregister geboren war: »Dies ist der
traurigste Tag meines Lebens. Ich habe gewonnen und doch verloren.
Unwiderruflich.«
Warum hatte Wellbright es für nötig
befunden, jeden Anspruch auf seine Tochter aufzugeben? Warum hatte Russ
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