Spiel mit dem Tod
quollen zu beiden Seiten des Brötchens hervor.
„Du bist ein richtiger kleiner Wichser, weißt du das?“
Spencer wischte sich den Mund mit der Serviette ab. „Ja, das weiß ich. Aber sag bitte nie ‚klein‘ in diesem Zusammenhang, das ist uncool.“
Tony lachte. Zwei der Kollegen blickten zu ihnen herüber. „Was hältst du von Gautreaux?“
„Abgesehen davon, dass er ein Scheißkerl ist?“
„Ja, abgesehen davon.“
Spencer zögerte. „Die Umstände sind ziemlich belastend für ihn.“
„Ich höre ein Aber in deiner Stimme.“
„Es ist zu einfach.“
„Einfach ist doch gut. Wie ein Geschenk. Nimm es mit einem: ‚Danke, lieber Gott‘ und lächle.“
Spencer schob das Sandwich zur Seite, um an den Hefter darunter zu kommen. Er enthielt Autopsieberichte von Cassie Finch und Beth Wagner. Anmerkungen zum Tatort. Fotografien. Namen von Familienangehörigen, Freunden und Bekannten.
Spencer zeigte auf den Hefter. „Die Autopsie hat bestätigt, dass sie von den Kugeln getötet wurde. Kein Anzeichen von Vergewaltigung oder anderen Verletzungen. Die Fingernägel waren sauber. Sie hat es nicht kommen sehen. Der Pathologe hat den Tod auf 23:45 Uhr geschätzt.“
„Toxikologisch?“
„Kein Alkohol, keine Drogen.“
„Mageninhalt?“
„Nichts von Bedeutung.“
Tony lehnte sich im Stuhl zurück, das Gestell quietschte. „Spuren?“
„Etwas Textilfaser und Haare. Das Labor ist dabei, es zu untersuchen.“
„Der Schütze hat sie wohlüberlegt kaltgemacht“, sagte Tony. „Das passt zu Gautreaux.“
„Aber warum sollte er sie vor Zeugen verfolgen und ihr drohen, sie dann töten und so erdrückende Beweismittel an seiner Pinnwand hängen lassen?“
„Weil er blöd ist.“ Tony lehnte sich zu ihm vor. „Das sind doch die meisten von ihnen. Wenn’s nicht so wäre, hätten wir ganz schöne Probleme.“
„Sie hat ihn reingelassen. Es war spät. Warum sollte sie das tun, wenn sie doch Angst vor ihm hatte, wie ihre Freundinnen behaupten?“
„Vielleicht weil sie auch blöd war.“ Tony blickte sich um, dann sah er Spencer wieder an. „Du wirst es noch lernen, Junior. Meist sind die Bösen saudumme Brutalos und die Opfer naive, vertrauensselige Idioten. Und deshalb werden sie erledigt. Traurig, aber wahr.“
„Und Gautreaux nahm den Laptop mit, weil er ihr Liebesbriefe oder wütende Drohungen per E-Mail geschickt hat.“
„Du hast es erfasst, mein Freund. Bei Mordfällen ist mit größter Wahrscheinlichkeit das passiert, wonach es aussieht. Wir werden Gautreaux weiter unter Druck setzen und hoffen, dass die Laborbefunde uns einen direkten Zusammenhang zwischen ihm und dem Opfer aufzeigen.“
„Schon ist der Fall erledigt“, sagte Spencer und griff nach seinem Sandwich. „Genau so, wie wir es gern haben.“
10. KAPITEL
Mittwoch, 2. März 2005
11:00 Uhr
Stacy hielt vor dem Haus Nummer 3135 in der Esplanade Avenue, wo Leonardo Noble wohnte. Mit den Informationen von Bobby Gautreaux hatte sie im Internet ein wenig über Mr. Noble recherchiert. Sie hatte erfahren, dass er tatsächlich der Erfinder des White-Rabbit-Spiels war. Und wie Gautreaux behauptet hatte, wohnte er in New Orleans.
Nur ein paar Blocks vom Café Noir entfernt.
Stacy schaltete den Motor aus und blickte zu dem Haus hinüber. Die Esplanade Avenue war einer der großen alten Boulevards von New Orleans, breit und von riesigen immergrünen Eichenbäumen beschattet. Die Stadt lag zweieinhalb Meter unter dem Meeresspiegel, die Esplanade Avenue war einmal, so wie viele Straßen in New Orleans, ein Wasserweg gewesen, der trockengelegt worden war. Warum die Siedler gemeint hatten, der Sumpf wäre ein gutes Wohngebiet, wollte ihr nicht einleuchten.
Aber nun ja, aus dem Sumpf war New Orleans geworden.
Dieses Ende der Esplanade Avenue wurde nach dem historischen Wasserweg Bayou St. John genannt. Neben aufwändig restaurierten Villen fanden sich verfallene Gebäude, Restaurants und Geschäfte. Die Straße endete als Sackgasse am Mississippi, am äußeren Ende des French Quarters.
Ihre Online-Recherche hatte ein paar interessante Informationen über den Mann ergeben, der sich selbst einen modernen Leonardo da Vinci nannte. Er lebte erst seit zwei Jahren in New Orleans. Davor war Südkalifornien seine Heimat gewesen.
Stacy rief sich das Bild des Mannes ins Gedächtnis. Kalifornien passte zu ihm weitaus besser als das traditionsreiche New Orleans. Seine Erscheinung war unkonventionell – ein Drittel kalifornischer Surfer,
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