Spiel mit der Liebe
geheiratet hatten. Sie dachte an die Nacht, in der sie Clay die Wahrheit über Stephen erzählt hatte, auch wenn sie seinen Namen nicht genannt hatte. Ihre Finger begannen sich zu bewegen, sie zeichnete schneller, heftiger.
Dunkle Wolken formten sich über einem überwucherten Garten. Die Umrisse eines Pavillons erschienen, der beinahe zugewachsen war von Ranken und dunklen, unheimlichen Gewächsen. Ihre Hand bewegte sich heftig, sie zeichnete schneller, ihre Gedanken verloren sich in bitteren, schmerzlichen Bildern der Vergangenheit. Die Umrisse des Gesichtes eines Mannes erschienen oben auf dem Blatt. Die Holzkohle in ihrer Hand flog über das Papier, zeichnete die Linien einer Nase und eines Mundes, Augen mit kleinen Fältchen in den Augenwinkeln. Sie versuchte, den blassen Farbton der Augen einzufangen.
Hände waren zu erkennen, lange und dünne Finger, die sich wie Krallen krümmten, die Nägel perfekt manikürt und dennoch irgendwie abstoßend.
Die Holzkohle zerbrach plötzlich zwischen ihren Fingern, und ihre heftigen Bewegungen hörten auf. Sie tat es schon wieder, erlaubte schon wieder, dass die Vergangenheit sich in die Gegenwart schlich. Und dennoch fühlte sie sich jedes Mal, wenn sie dieses Bild malte, ein wenig freier, ein wenig mehr in der Lage, loszulassen.
Als sie diesmal auf das Bild starrte, fühlte sie sich befreit von dem Schmerz, als sei er nicht länger ein Teil von ihr.
Das war Clays Verdienst. Durch seine sanfte Art und die tröstenden Worte gelang es ihm, die Vergangenheit verblassen zu lassen.
Mit einem leisen Seufzer schloss sie den Skizzenblock und legte ihn weg, sie vermisste Clay, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Sie läutete nach Tibby, kleidete sich an und ging nach unten. Zu lesen, so hoffte sie, würde eine angenehme Ablenkung sein, aber als sie erst einmal die Bibliothek mit den holzvertäfelten Wänden erreicht hatte, wurde ihr klar, dass es nicht klappen würde.
Sie war schon viel zu lange eingeschlossen. Sie musste aus dem Haus, musste frische Luft und Frühlingssonnenschein genießen. Jetzt, wo sie verheiratet war, besaß sie ein gewisses Maß an Freiheit. Auch in dieser Hinsicht hatte Clay Recht gehabt.
»Entschuldigung, Mylady.« Der Butler, ein dünner, kahlköpfiger Mann mit Namen Henderson, mit buschigen grauen Augenbrauen und einer erstaunlichen Ergebenheit seinem Arbeitgeber gegenüber, stand an der Tür.
»Die Contessa di Loreto ist gekommen, um Sie zu besuchen. Ich habe sie in den Salon geführt. Möchten Sie sie empfangen, oder soll ich ihr sagen, dass Sie anderweitig beschäftigt sind?«
Kitt strahlte. »Sagen Sie der Contessa, dass ich sie sehr gern sehen möchte. Ich komme sofort.«
Sie fand ihre Freundin vor, wie diese vor dem grün gestreiften Sofa auf und ab lief. Offensichtlich war sie genauso unruhig wie Kitt selbst.
»Es tut mir Leid«, entschuldigte sich Anna mit einem Lächeln. »Ich hätte dir eine Nachricht schicken sollen, ich weiß, aber ich konnte es nicht erwarten, dich zu sehen. Ich hoffe, ich störe dich nicht.«
Kitt grinste. »Das weißt du doch. Eigentlich konnte ich es kaum erwarten, aus dem Haus zu kommen. Ich hatte mich gerade entschieden, zu dir zu kommen, um dich zu besuchen.«
»Dann hatten wir beide wohl heute den gleichen Gedanken.« Zum ersten Mal sah Kitt die Zeitung, die Anna in ihrer schmalen Hand hielt. »Ich bin gekommen, um dir das hier zu bringen, falls du es noch nicht gesehen hast.«
Kitt streckte die Hand aus und nahm ihr die Zeitung aus den Fingern. »Was ist es denn?«
»Öffne die Zeitung, dann wirst du es schon sehen.«
Das tat sie, mit einem Anflug von Furcht, doch dann weiteten sich ihre Augen überrascht bei dem Anblick des Bildes auf der zweiten Seite der London Times - ihrer Zeichnung des Kosaken! Darunter stand ein Artikel über die Abenteuer des Mannes seit seiner Ankunft in London.
»Wie, um alles in der Welt... ?«
»Dein Clayton muss ihnen diese Zeichnung geschickt haben. Siehst du, unten auf der Seite stehen deine Initialen. K.W.H. Und da niemand weiß, dass du zeichnest, brauchst du dir auch keine Sorgen darüber zu machen, dass irgendjemand errät, dass es eine Zeichnung ist, die du gemacht hast.«
Kitt betrachtete ihre Zeichnung, fuhr mit dem Finger darüber und auch über ihre Initialen - Kassandra Wentworth Harcourt. Sie hatte noch nie das Gefühl gehabt, eine solche Leistung vollbracht zu haben, hatte sich noch nie so wertvoll gefühlt. Sie fand es wundervoll, dass Clay so
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