Spiel um Macht und Liebe (German Edition)
Säuglingsstation entdeckten sie erst, als es bereits zu spät war. Die Schläuche waren aus dem Brutkasten entfernt worden, und man hatte Nicholas kleine Puppenkleider angezogen. Einen weiß gestrickten Strampler mit blauen und gelben Teddybären.
Die Mutter eines anderen Frühgeborenes hatte die Kleider dem Krankenhaus überlassen, und die Schwester, die dem Baby die Sachen anzog, hatte ein bisschen geweint, obwohl sie wusste, dass sie sich ihren Gefühlen nicht hingeben durfte.
Sie sah Lucy und wusste sofort, dass man ihr nichts mehr zu sagen brauchte. Nicht zum ersten Mal staunte sie über die Kraft der Liebe einer Mutter. Wortlos legte sie Lucy Nicholas in die Arme und ging ins Büro, um Lucys Station zu verständigen.
Sein Körper fühlte sich noch so weich und warm an, dass Lucy fast glaubte, er würde nur schlafen. Sie berührte sein Gesicht. Die Haut war unsagbar zart. Er sah Giles sehr ähnlich, da war Lucy sich sicher. Erst als sie ihn küsste, verlor sie die Beherrschung, und ihr Körper wurde von schmerzvollem Schluchzen geschüttelt.
Als Giles ankam, hatte man sie ruhiggestellt. Sie bestand sofort auf einer Beerdigung, und die Sorge um sie war so groß, dass Giles nicht auf die Idee kam, ihr zu sagen, dass er über Nicholas gewacht hatte und bei ihm gewesen war, als er starb.
Um ihr Kummer zu ersparen, räumte Giles das Kinderzimmer aus und ließ es neu streichen, bevor Lucy aus dem Krankenhaus zurückkam. Bei seinen Besuchen erwähnte er das Baby nicht, und Lucy sah darin ein Zeichen, dass er ihr die Schuld an Nicholas’ Tod gab. Doch noch größer waren die Vorwürfe, die sie sich selbst machte. Sie hatte das Baby nicht gewollt, und so hatte das Schicksal beschlossen, dass sie es nicht bekam.
Den Trost des Krankenhauspersonals lehnte sie ab. Andere Mütter, die ihre Babys verloren, hatten die Kinder ersehnt. Lucy meinte, den Schmerz zu verdienen. Sie war nicht wie die anderen Mütter.
Zu Hause sprach sie mit Giles nicht über Nicholas. Sie besaß ein Foto von ihm, das sie wie besessen musterte, wenn sie allein war.
Giles verbrachte immer mehr Zeit bei der Arbeit. Wenn er nach Hause kam, wirkte er erschöpft, aber Lucy nahm ihn kaum zur Kenntnis. Sie hatte sich in sich zurückgezogen, wo niemand sie erreichen konnte. Ihr Schmerz und ihr Schuldgefühl reichten so tief, dass kein Platz für irgendetwas anderes blieb.
Erst über ein halbes Jahr nach Nicholas’ Geburt machte Giles einen Versuch, mit ihr zu schlafen. Sie wandte sich sofort von ihm ab. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, sich Giles’ erregendem Liebesspiel hinzugeben. Sie verdiente keinen Genuss. Nicholas hatte das Leben auch nicht genießen dürfen. Selbst seine eigene Mutter hatte ihm das Recht auf Leben abgesprochen.
Giles konnte ihre Gefühle nicht nachvollziehen und dachte, sie lehne ihn ab, weil sie ihm immer noch die Schuld daran gab, dass sie Nicholas bei seinem Tod nicht hatte beistehen können.
Keiner von ihnen sprach darüber, was geschehen war. Giles fühlte sich zu bedrückt und einsam, und Lucy konnte nur an Nicholas denken. Wenn sie ihn ausgetragen hätte, wäre er jetzt schon ein Vierteljahr alt. Er könnte schon sitzen, lachen, und sie mit seinen großen dunklen Augen ansehen, während er an ihrer Brust nuckelte.
Ihr Körper verkrampfte sich vor Sehnsucht nach ihm, und Lucy wusste, dass sich daran niemals etwas ändern würde.
Die Monate vergingen, und langsam wurde Lucy sich bewusst, wie weit Giles sich von ihr entfernt hatte. Sie schliefen noch im selben Bett und liebten sich hin und wieder, aber die Freude und Hingabe von früher waren verschwunden. Giles sagte ihr nicht mehr, wie sehr er sie begehrte und wie sehr sie ihn erregte. Kein Wort mehr von der Stärke seiner Liebe und seines Verlangens.
Allmählich wurde sie von panischer Angst ergriffen, dass Giles ihr genau wie Nicholas genommen würde. Sie steigerte sich in die Überzeugung hinein, dass sie es verdiene, ihn genau wie ihr Kind zu verlieren. Es gehörte zu ihrem Charakter, dass sie gegen diese Angst ankämpfte, und dieser Kampf entlud sich in Wutausbrüchen gegen Giles. Sie beklagte sich, dass er so wenig Zeit mit ihr verbrachte, verlangte manchmal leidenschaftlich, dass er mit ihr schlief, und verhielt sich dann wieder wochenlang kühl und unnahbar.
Davor hatte sie sich am meisten gefürchtet. Hatte ihre Mutter ihr nicht gesagt, was mit Frauen geschah, die ihren Männern keine Söhne schenkten? Wenn Giles die Geduld verlor und sich über
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