Spiel um Macht und Liebe (German Edition)
sie aufregte, sagte sie sich, dass er wegen Nicholas wütend war. Wenn sie sah, wie er Davina anlächelte, und die Zuneigung in seiner Stimme hörte, wenn er über Davina sprach, nahm sie an, dass er sich von ihr abwandte, weil sie seinen Sohn verloren hatte. Genau wie ihr Vater ihre Mutter und sie verstoßen hatte, lehnte Giles jetzt sie ab.
Lucys starke Stimmungswechsel, ihre Wutausbrüche verwirrten und bedrückten Giles. Je größer ihre Panik wurde und je mehr sie ihn zu erreichen versuchte, indem sie ihn kränkte und anschrie, desto mehr zog er sich in verunsichertes Schweigen zurück.
Natürlich liebte er sie immer noch, aber er war es leid, ihre Stimmungswechsel nicht vorhersehen zu können. Und vor ihren Wutanfällen, wenn sie ihn nur noch anschrie, graute ihm.
Im Rückblick kommt mir die Vergangenheit wie ein langer schwarzer Tunnel vor, dachte Lucy müde. Sie wusste, dass Giles sie einmal geliebt und seine ganze Welt um sie herum errichtet hatte.
Doch diese Liebe hatte sie verloren, und schon bald konnte sie auch Giles verloren haben.
Sie wollte ihn nicht verlieren. An ihrer Liebe zu ihm hatte sich nichts geändert, und sie sehnte sich danach, ihm das zu sagen, aber jedes Mal musste sie dann an Nicholas denken, und das Schuldgefühl und ihr Kummer lähmten sie völlig.
Giles’ Liebe verdiente sie nicht. Sie hatte ihr Baby getötet und musste dafür gestraft werden.
Davina würde niemals schreien, dass sie kein Kind haben wolle. Davina würde kein Kind ablehnen, das in ihr wuchs. Sie würde ihre Schwangerschaft so ruhig und gelassen erdulden wie alles andere in ihrem Leben. Von Davina würde Giles gesunde Kinder geschenkt bekommen. Söhne.
Lucy wusste, dass Davina sich nicht absichtlich zwischen Giles und sie drängte, doch dort stand sie, und Giles bewunderte und begehrte sie.
Was sollte Lucy tun? Was konnte sie tun?
7. KAPITEL
Saul hatte nicht vorgehabt, während der Fahrt Pausen einzulegen, aber ein Stau auf der Autobahn hatte ihn aufgehalten, und er hatte Christie per Autotelefon gewarnt, dass er später als ausgemacht ankommen werde.
Sie hatte nur gelacht. Er solle sich keine Sorgen machen. Andererseits dürfe er nicht erwarten, dass sie ihm ein Fünfgängemenü bei seiner Ankunft auftische.
„Ich arbeite an meinen Aufzeichnungen für diese blöde Konferenz“, sagte sie. „Außerdem ist es sowieso ungesund für dich, nach vier Uhr nachmittags noch schwere Mahlzeiten zu dir zu nehmen.“
„Keine Bange, du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, versicherte Saul ihr und schmunzelte, als er hörte, wie sie sofort tief Luft holte und ihn aufgebracht anfuhr.
„Das war keine Entschuldigung!“
Sie war schon immer auf jedes Stichwort angesprungen. Manchmal war ihre Unbeherrschtheit genauso groß wie Sauls Ruhe und Selbstbeherrschung. Während ihrer Jugend hatten sie sich wütende Streits geliefert, wenn Christie ihm vorgeworfen hatte, er würde die Rolle als Vaters Liebling zu ihrem Nachteil ausnutzen.
Damals hatte er das von sich gewiesen. Als junger Mann war er zu selbstherrlich gewesen, um hinter ihrer Wut den Schmerz zu sehen. Jetzt verstand er sie viel besser. Sie besaß viel mehr Ehrgeiz als er, und mit diesem Ehrgeiz verfolgte sie im Gegensatz zu ihm ihre eigenen Ziele und Wünsche.
Stirnrunzelnd legte er den Hörer weg. Was war mit ihm los? Es war zu einfach, seinem Vater die Schuld daran zu geben, dass er mit seinem Leben momentan unzufrieden war. Das war nicht fair. Sein Vater hatte ihn niemals zu etwas gezwungen oder überredet.
Gerade noch rechtzeitig wurde ihm klar, dass er die nächste Ausfahrt nehmen musste. Er würde eher als gedacht bei Christie ankommen.
Eine halbe Stunde später fuhr er durch Thresham. Der kleine Marktplatz wirkte verlassen. Der Ort war zu klein, um in den Sechzigern das Interesse der Stadtplaner geweckt zu haben. Er besaß noch die engen Straßen und die kleinen georgianischen Ziegelhäuser.
Trotzdem war Saul überrascht, als er die Leuchtreklame eines Schnellrestaurants sah. Die zahlreichen Jugendlichen vor dem Eingang schienen allerdings nicht Sauls Abneigung zu teilen. Schließlich haben diese Restaurants auch nichts Neues erfunden, überlegte Saul. Vor hundert Jahren gab es auf diesem Marktplatz sicher auch schon Imbissstände mit Fleischgerichten und Gebäck.
Ich kann nicht weit von Carey Chemicals entfernt sein, stellte er fest. Und einem plötzlichen Einfall folgend fuhr er an den Straßenrand und öffnete seine Aktentasche, aus der er
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