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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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klangen, es hatte vielmehr etwas Beruhigendes. Sie wollten etwas, und sie wollten es so sehr, dass es nicht geflüstert oder gemurmelt werden konnte, sondern gerufen werden musste.
    Am nächsten Morgen kam Großvater ins Haus und fragte, ob wir Lust hätten, die Netze mit ihm einzuholen. Das hatten wir, und ein paar Minuten später hefteten wir uns, einen leeren, weißen Bottich zwischen uns tragend, auf dem Pfad zum Fjord an Großvaters Fersen.
    Das Boot lag an einer roten Netzboje vertäut ein paar Meter draußen. Der Nebel hing so dicht, dass es aussah, als schwebte es in der Luft. Großvater zog das Boot zum Land, wir sprangen hinein, und nachdem er das Boot mit den Rudern hinausgeschoben hatte, setzte Yngve sich auf die Bank an den Ruderdollen und legte sich in die Riemen. Großvater saß achtern und gab, wenn nötig, den Kurs an, ich saß im Bug und schaute in den Nebel hinein. Der Berg Lihesten am anderen Ufer war mittlerweile fast völlig verschwunden und nur noch als ein Streifen härteres Grau in all dem Wolligen und Feuchten zu erkennen.
    »Hier ist es eigentlich eher selten neblig«, meinte Großvater, »zumindest um diese Jahreszeit.«
    »Bist du schon einmal auf dem Gipfel des Lihesten gewesen, Opa?«, fragte Yngve.
    »Oh ja, das kannst du mir glauben«, antwortete Großvater. »Schon oft. Aber das letzte Mal liegt jetzt schon ein paar Jährchen zurück.«
    Er beugte sich vor und legte die Arme auf die Oberschenkel.
    »Einmal war ich da oben an einer Rettungsaktion beteiligt. Das war beim ersten echten Flugzeugunglück in Norwegen. Habt ihr davon schon einmal gehört?«
    »Nein«, antwortete Yngve.
    »Damals war es genauso neblig wie heute. Das Flugzeug krachte frontal gegen den Lihesten. Wir hörten den Knall, wussten aber natürlich nicht, was passiert war, aber kurz darauf wurde die Maschine als vermisst gemeldet, und der Ortspolizist brauchte Leute, die mit ihm auf den Berg stiegen. Also ging ich mit.«
    »Habt ihr sie gefunden?«, fragte ich.
    »Ja. Aber sie waren alle tot. Ich sah den Kopf des Kapitäns, den Anblick werde ich nie vergessen. Seine Haare waren frisch frisiert! Sie waren perfekt zurückgekämmt. Kein Haar lag falsch. Ja, das vergesse ich nie.«
    »Und wo ist es abgestürzt? An der Felswand?«, fragte Yngve.
    »Nein, wir können die Stelle von hier aus nicht sehen. Aber oben auf dem Hochplateau gibt es eine felsige Erhebung. Da ist es abgestürzt. Wir mussten zu dem Wrack hochklettern. Etwas härter backbord!«
    Yngves Augen verschmälerten sich, wahrscheinlich versuchte er sich zu erinnern, welche Seite Backbord war.
    »So ist es richtig«, sagte Großvater. »Du ruderst gut! Ja, das war damals eine große Sache. Es stand in allen Zeitungen. Und im Radio wurde auch viel darüber berichtet.«
    Vor uns leuchtete im Grau die Boje über dem Netz.
    »Ziehst du sie heraus, Karl Ove?«, sagte Großvater. Ich lehnte mich mit pochendem Herzen vor und packte sie mit beiden Händen, aber sie war glatt und rutschte mir sofort wieder aus den Fingern.
    »Du musst unter sie greifen«, wies Großvater mich an. »Wir versuchen es noch einmal! Ruder ein bisschen zurück, Yngve. Dahin, ja.«
    Diesmal schaffte ich es, sie an Bord zu hieven. Yngve zog die Ruder ins Boot, und Großvater begann, das Netz einzuholen. Anfangs tauchten die Fische als kleine blinkende Lichter tief unten im Schwarzen auf, dann wurden sie größer und deutlicher, bis sie schließlich zappelnd über das Dollbord gezogen wurden. Mit ihren graubraunen oder bläulichen Zeichnungen auf dem Rücken, ihren gelben Augen, blassroten Mäulern und messerscharfen Rücken- und Heckflossen glänzten sie so und waren so rein. Ich hielt einen von ihnen in den Händen, wo er sich mit einer Kraft wand, die ich ihm niemals zugetraut hätte, wenn ich ihn im nächsten Moment reglos auf einem der Bodenbretter zu meinen Füßen liegen sah.
    Großvater befreite die Fische geduldig aus den Maschen und warf sie nach und nach in den Bottich. Zwanzig Stück hatten wir gefangen. Größtenteils Köhler, aber auch den einen oder anderen Kabeljau und Pollack sowie zwei Makrelen.
    Als Yngve zurückruderte, hörte ich auf einmal ein leises, teils rauschendes, teils plätscherndes Geräusch, das dem Klang schneller Segelboote nicht unähnlich war, und drehte den Kopf. Etwa dreißig Meter weiter draußen bewegten sich einige dunkle Rücken durch das Wasser.
    Ich bekam Angst.
    »Was ist das?«, wollte Yngve wissen und hob die Ruderblätter an.

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