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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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ab, und Vater holte aus seinem Arbeitszimmer einen Schreibblock und vier Stifte.
    »Spielst du mit, Sissel?«, rief Vater Mutter zu, die in der Küche spülte.
    »Gern«, antwortete Mutter und kam zu uns herein. Sie hatte Seifenschaum auf dem Arm und an der Schläfe. »Was spielen wir denn? Yatzy?«
    »Nein«, sagte Vater. »Jeder von uns bekommt ein Blatt Papier, auf das wir Stadt, Land, Fluss, Meer, See und Berg schreiben. Eine Spalte für jede Kategorie. Als Nächstes wählen wir einen Buchstaben aus, und dann muss man so viele Sachen aufschreiben, wie einem in drei Minuten mit diesem Anfangsbuchstaben einfallen.«
    Das hatten wir noch nie gespielt, aber es klang so, als könnte es Spaß machen.
    »Gibt es einen Preis?«, erkundigte sich Yngve.
    Vater lächelte.
    »Nur die Ehre. Der Gewinner wird Familienmeister.«
    »Fangt schon mal an«, sagte Mutter. »Ich koche uns noch eine Kanne Tee.«
    »Wir können ja einen Probedurchgang machen«, meinte Vater. »Dann fangen wir richtig an, wenn du zurück bist.«
    Er sah uns an.
    »M«, sagte er. »Also der Buchstabe M. Macht ihr mit?«
    »Ja«, antwortete Yngve, schrieb bereits und hatte eine Hand abschirmend vor sein Blatt gelegt.
    »Ja«, sagte ich.
    Mont Blanc schrieb ich bei Berg. Mandal, Morristown, Mjøndalen, Molde, Malmö, Metropolis und München bei Städten. Ein Meer fiel mir ebenso wenig ein wie ein Fluss. Dann war Land an der Reihe. Gab es ein Land mit M? Ich ging in Gedanken alle Länder durch, die ich kannte, aber mir fiel keins ein. Moelven . War das ein Fluss? Mo i Rana, das war jedenfalls eine Stadt. Mittlerer Osten? Ach ja, Mississippi!
    »Die Zeit ist abgelaufen«, verkündete Vater.
    Ein kurzer Blick auf ihre Blätter reichte aus, um zu erkennen, dass sie mich geschlagen hatten.
    »Lies deine vor, Karl Ove«, sagte Vater.
    Als ich zu Morristown kam, lachten Vater und Yngve.
    »Lacht mich nicht aus!«, rief ich.
    »Morristown gibt es doch nur in den Phantom-Heften«, sagte Yngve. »Hast du etwa gedacht, die Stadt gäbe es wirklich?«
    »Ja? Na und? Sala arbeitet doch im UN-Gebäude in New York, und das gibt es. Warum soll es dann nicht auch Morristown geben?«
    »Gut gesprochen, Karl Ove«, sagte Vater. »Du bekommst einen halben Punkt dafür.«
    Ich schnitt Yngve zugewandt eine Grimasse, und er revanchierte sich mit einem höhnischen Grinsen.
    »Der Tee ist fertig«, sagte Mutter. Wir gingen in die Küche und holten uns jeder eine Tasse. Ich füllte meine mit Milch und Zucker auf.
    »Dann fangen wir jetzt richtig an«, sagte Vater. »Wir nehmen drei Buchstaben. Mehr schaffen wir heute nicht mehr, ehe ihr ins Bett müsst.«
    Es stellte sich heraus, dass Mutter fast genauso wenig wusste wie ich. Vielleicht konzentrierte sie sich aber auch nicht so wie Yngve und Vater. Für mich war das jedenfalls gut, denn so standen wir zwei den beiden anderen gegenüber.
    Nachdem Vater die Punkte in der ersten Runde zusammengezählt hatte, erzählte sie uns, dass sie ihren Namen geändert habe.
    »Ich habe wieder meinen Mädchennamen angenommen. Von jetzt an heiße ich also Hatløy und nicht mehr Knausgård.«
    Mir wurde eisig kalt.
    »Du heißt nicht mehr Knausgård?«, fragte ich und sah sie mit offenem Mund an. »Aber du bist doch unsere Mutter!«
    Sie lächelte.
    »Ja, natürlich bin ich eure Mutter! Und das werde ich auch immer bleiben!«
    »Aber warum? Warum willst du nicht mehr so heißen wie wir?«
    »Ja, weißt du, ich bin als Sissel Hatløy geboren worden. Das ist mein Name. Knausgård ist Papas Name. Und euer Name!«
    »Lasst ihr euch scheiden?«
    Mutter und Vater schmunzelten.
    »Nein, wir lassen uns nicht scheiden«, antwortete Mutter. »Wir werden nur verschiedene Namen haben.«
    »Eine etwas dumme Folge davon«, meldete sich Vater zu Wort, »ist allerdings, dass wir Großvater und Großmutter in Kristiansand ab jetzt nicht mehr besuchen werden. Es gefällt ihnen nämlich nicht, dass eure Mutter ihren Namen geändert hat, und deshalb wollen sie uns nicht mehr sehen.«
    Ich sah ihn an.
    »Aber was ist denn mit Weihnachten?«, fragte ich.
    Vater schüttelte den Kopf.
    Ich begann zu weinen.
    »Das ist doch kein Grund zum Heulen, Karl Ove«, sagte Vater. »Das geht bestimmt wieder vorüber. Sie sind nur im Moment wütend, aber das legt sich sicher wieder.«
    Ich schob meinen Stuhl mit einem Ruck zurück, sprang auf und lief in mein Zimmer. Als ich die Tür schloss, hörte ich, dass mir jemand folgte. Ich legte mich aufs Bett und vergrub den Kopf im Kissen.

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