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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Ich heulte laut, und Tränen liefen mir über die Wangen wie nie zuvor.
    »Aber Karl Ove«, sagte Vater hinter mir. Er setzte sich auf die Bettkante.
    »Das musst du dir doch nicht so zu Herzen nehmen. Ist es denn so toll bei Großmutter und Großvater?«
    »Ja!«, rief ich ins Kissen. Mein ganzer Körper zog sich in krampfhaften Schluchzern zusammen.
    »Aber wenn sie deine eigene Mutter nicht mehr sehen wollen, dann macht es doch gar keinen Spaß, sie zu treffen, nicht? Das verstehst du doch sicher. Sie wollen uns nicht sehen.«
    »Aber warum will sie auch ihren Namen ändern!«, rief ich.
    »Es ist ihr richtiger Name«, erwiderte Vater. »Deshalb möchte sie ihn auch gerne tragen. Und wenn das so ist, dann können weder du und ich noch Großmutter und Großvater ihr das verweigern. Habe ich nicht recht?«
    Er legte kurz die Hand auf meine Schulter, stand auf und verließ das Zimmer.

Als meine Tränen versiegten, griff ich nach dem Buch, das Mutter mir gekauft hatte, und las weiter. Am Rande mei nes Bewusstseins nahm ich wahr, dass Yngve ins Bett ging, die Schiebetür geschlossen und im Wohnzimmer Musik gehört wurde, aber ohne, dass sich mir irgendetwas davon einprägte, denn vom ersten Satz an fiel ich tief in die Geschichte, die ich las, und fiel immer tiefer. Die Hauptfigur hieß Ged, er war ein Junge, der auf einer Insel wohnte und besondere Fähigkeiten besaß. Als man das entdeckte, wurde er in eine Schule für Magier geschickt. Dort stellte sich heraus, dass er über ganz außergewöhnliche Fähigkeiten verfügte, und als er sich, getrieben von übergroßem Hochmut, vor den anderen in Szene setzen wollte, öffnete er das Tor zur anderen Welt, zur Unterwelt, zum Totenreich, aus dem daraufhin ein Schatten entschlüpfte. Ged war dem Tode nahe, hinterher war er viele Jahre schwach und kraftlos, fürs Leben gezeichnet, und wurde von diesem Schatten verfolgt. Er floh vor ihm, verbarg sich an einem entlegenen Ort, gab sämtliche Ambitionen auf und wusste, dass die Dinge, mit denen er sich beschäftigt hatte, die simplen Zauberkünste, nur leere Gesten und Spiegelfechtereien gewesen waren, denn es gab eine andere, tiefere Magie, die mit allem Existierenden verflochten war, und die eigentliche Aufgabe des Magiers bestand darin, das Gleichgewicht zwischen allem zu wahren. Alle Dinge und alle Geschöpfe hatten einen Namen, der ihrem Wesen entsprach, und nur wenn man den wahren Namen der Dinge und Geschöpfe kannte, ließen sie sich beherrschen. Diese Fähigkeit besaß Ged, wusste es aber nicht, denn jede Beschwörung, jedes Zauberkunststück, hatte Folgen für das Gleichgewicht, so konnte beispielsweise etwas anderes an einem anderen Ort geschehen, was sich nicht abschätzen ließ. Die Bewohner des Dorfes, in dem er sich niedergelassen hatte, hielten ihn deshalb für einen schlechten Magier, da er ja nicht einmal die einfachsten Tricks vorführen wollte, von denen jeder Dorfmagier doch lebte. Er war jung, ernst, hatte eine große Narbe im Gesicht und fror schnell, aber wenn es wirklich darauf ankam, wenn er seine Fähigkeiten wirklich einsetzen musste, tat er es. Einmal ging es um ein Kind, das im Sterben lag. Er folgte ihm ins Totenreich und holte es zurück, obwohl er das nicht hätte tun sollen, obwohl es eigentlich gefährlich war, denn wenn es ein Gleichgewicht gab, das wirklich nicht gestört werden durfte, dann das zwischen Leben und Tod. Aber er tat es und wäre dabei selbst beinahe gestorben. Die Dorfbewohner begriffen daraufhin zum ersten Mal, wer er wirklich war. Und der Schatten, der durch seine Schuld von der anderen Seite hatte entschlüpfen können, der auf der Suche nach ihm unermüdlich durch die Welt geirrt war, entdeckte ihn, denn wenn er seine Kräfte einsetzte, spürte der Schatten es jedes Mal und kam Ged so immer näher. Er musste fortgehen. Und das tat er auch, mit einem Boot ging es aufs Meer zwischen den Inseln, zu den fernsten Gestaden hinaus. Der Schatten kam immer näher und näher. Nach mehreren Zusammenstößen, bei denen Ged fast den Tod gefunden hätte, kam es zur letzten großen Konfrontation. Die ganze Zeit hatte er versucht, den Namen des Schattens zu ermitteln, hatte er Werke über Geschöpfe aus den ältesten Zeiten durchforstet und andere, weisere Magier befragt, war aber glücklos geblieben, das Geschöpf blieb unbekannt, namenlos. Dann wusste er es auf einmal. Draußen auf dem Meer, alleine in seinem Boot, während der Schatten immer näher kam, wusste er es endlich. Der

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