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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Haarlocke aus dem Gesicht. Die Fingernägel waren von fast durchsichtigem Nagellack überzogen. Ihre Freundinnen setzten sich wie auf ein verabredetes Zeichen auf ihre Räder und fuhren davon.
    »Samstagabend bin ich alleine zu Hause«, sagte sie. »Ich habe meiner Mutter erzählt, dass Sunnva kommt, damit sie Pizza macht und Cola für uns kauft. Aber Sunnva kommt nicht. Hast du Lust?«
    Ich schluckte.
    »Ja«, sagte ich.
    Einer der anderen Jungen aus meiner Mannschaft rief uns von der Baracke aus etwas zu. Kajsa hatte eine Hand auf den Lenker gelegt, die andere hing herab.
    »Wollen wir abhauen?«, fragte ich.
    »Gute Idee«, antwortete sie.
    »Da runter?«, sagte ich.
    Sie nickte, und wir stiegen auf unsere Räder. Wir fuhren den schattigen Kiesweg hinab, ich vorneweg, Kajsa direkt hinter mir. Auf der Kuppe des langen Anstiegs bremste ich ein wenig ab, damit wir nebeneinander hinunterrollen konnten. Die Sonne tauchte den Höhenzug auf der anderen Seite in ihr Licht. Die schwärmenden Insekten in der Luft ähnelten Glitzer, den jemand ausgestreut hatte. Auf halbem Weg nach unten ging rechts ein alter Waldweg ab, und plötzlich kam mir der Gedanke, dass er vielleicht zu einer geeigneten Stelle führen würde, und während mir der Wind in die Haare fuhr, rief ich Kajsa zu, dass wir dort hinauffahren sollten. Sie nickte, und wir bogen ab, rollten gut zehn Meter aufwärts, bis der Schwung endgültig verloren war, und sprangen ab. Sie sagte nichts, ich sagte nichts, wir gingen nur den grasbewachsenen Weg hinauf, auf dem an manchen Stellen Rinde und abgebrochene Äste lagen. Als wir die Kuppe erreichten und den weiteren Verlauf überblicken konnten, stellte ich fest, dass es dort nicht gehen würde, der Boden war voller Baumstümpfe, und dahinter standen die Fichten so dicht wie eine Wand.
    »Nein«, sagte ich. »Das passt nicht. Wir fahren weiter.«
    Kajsa schwieg nach wie vor, setzte sich nur gleichzeitig mit mir aufs Fahrrad, woraufhin wir wieder zurückrollten, sie auf den Pedalen stehend und häufiger bremsend als ich.
    Nein, der Weg oberhalb der Fina war der richtige Ort.
    Bei dem Gedanken durchlief mich eine Welle der Furcht. Es war ein Gefühl, als wäre man auf einen zu hohen Felsen gestiegen und stünde nun da und blickte in dem Wissen auf die Wasserfläche, dass man nun entweder seine Angst überwinden und springen oder einen Rückzieher machen musste.
    Wusste sie, was geschehen würde?
    Ich betrachtete sie verstohlen.
    Oh, wie ihre Brüste wippten.
    Oh, oh, oh.
    Aber ihr Gesicht war ernst. Was bedeutete das?
    Wir sprangen von den Rädern und gingen unter den tiefen Schatten der Laubbäume, deren Kronen sich über uns streckten, den Anstieg zur Hauptstraße hinauf. Seit wir am Fußballplatz gewesen waren, hatten wir kein Wort mehr miteinander gewechselt. Wenn ich jetzt etwas sagen wollte, musste es etwas Wichtiges sein, es konnte nicht bloß eine belanglose Bemerkung sein.
    Ihre Hose war aus Baumwolle, sie war pastellgrün und wurde an der Taille von einer Kordel zusammengehalten. Sie fiel locker über die Oberschenkel, saß im Schritt und am Po jedoch straffer. Der Oberkörper war mit einem T-Shirt und darüber mit einer dünnen Strickjacke bekleidet, die weiß mit einem Hauch von Gelb war. Ihre Füße in den Sandalen waren nackt. Die Zehennägel waren in der gleichen Farbe lackiert wie ihre Finger. Um den einen Fuß hing ein Fußkettchen.
    Sie sah fantastisch aus.
    Als wir auf die Hauptstraße kamen und uns nur eine lange Abfahrt und eine lange Auffahrt davon trennten, was geschehen würde, hatte ich größte Lust, ihr mit dem Fahrrad davonzufahren. Einfach in die Pedale zu treten und aus ihrem Leben zu verschwinden. Und wenn ich das täte, würde es eigentlich keinen Grund geben, es dabei zu belassen. Nein, auch von unserem Haus konnte ich wegfahren. Tybakken, Tromøya, Aust-Agder, Norwegen, Europa, das alles würde ich hinter mir lassen. Den radelnden Holländer würde man mich nennen. Für immer und ewig dazu verdammt, durch die Welt zu radeln, wobei das Licht der Lampe am Lenker gespenstisch die Landstraßen beschien.
    »Wo wollen wir eigentlich hin?«, fragte sie, als wir abwärtssausten.
    »Ich kenne da eine schöne Stelle«, antwortete ich. »Es ist nicht mehr weit.«
    Sie kommentierte meine Worte nicht. Wir fuhren an der Fina vorbei, ich zeigte den Anstieg zwischen den Bäumen hinauf, und sobald der Weg steiler wurde, sprang sie wieder ab. Auf ihrer Stirn lag eine dünne, glänzende Schweißschicht.

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