Spieltage
vom Himmel fallende Fallschirmspringer sie mehr unterhalten als ein Vorspiel von Kindern?
Der 1. FC Nürnberg blieb noch ein wenig länger am Himmel. Heinz Höhers Aufsteiger spielten einfach weiter wie in der Zweiten Liga, keck und schnell. Nach fünf Spieltagen waren sie Tabellenzweiter der Bundesliga.
Nach dem 4:1-Sieg bei Borussia Dortmund am 31. August 1985 konnte Heinz Höher nicht mit der Mannschaft nach Hause fahren. Das Aktuelle Sportstudio bat ihn spontan in die Sendung. Um 22:20 Uhr tickte in einem Fernsehstudio auf dem Mainzer Lerchenberg unaufhaltsam eine Bahnhofsuhr vorwärts. Exakt nach dem dritten Takt einer Begleitmelodie zoomte die Fernsehkamera von der Bahnhofsuhr langsam die Zuschauertribüne ins Bild, die Männer im Publikum trugen Polohemden, die Frauen gemusterte Blusen, viel Blau, mehr Gelb war zu sehen. In der ersten Reihe schauten bei der Hälfte der Zuschauer zwischen den Schuhen und den Hosenbeinen Tennissocken hervor.
Karl Senne, der Moderator, hielt sich nicht lange damit auf, einen guten Abend zu wünschen, denn, sagte er, an Tagen, an denen Boris Becker spielte, war vieles anders hierzulande, auch im Aktuellen Sportstudio . Senne trug gelbe Socken zum gelben Poloshirt. Die Ärmel des breit karierten Anzugs hatte er lässig nach oben geschoben.
An diesem Samstag trat Becker bei den US Open gegen einen Neuseeländer an, den Namen des Kontrahenten erwähnte Senne nicht, es war nicht nötig. Wenn Boris Becker spielte, interessierte nicht der Gegner.
Sie würden natürlich über dieses Tennismatch gegen den Neuseeländer bei Beckers erstem Grand-Slam-Turnier seit seinem Wimbledon-Sieg berichten, und dafür würde die Sendung dann vielleicht auch ein wenig länger dauern als geplant.
Sie überzogen die Sendezeit nie mehr eine Stunde und zwei Minuten wie beim ersten Mal am 24. August 1963, aber fast immer fünf, sieben oder zwölf Minuten. Am Montag gab es auf der ZDF-Konferenz jedes Mal Ärger, und jeder wusste, nächsten Samstag überzieht das Sportstudio wieder. Wer hätte sie gestoppt? Sie waren das Sportstudio . 7,12 Millionen sahen an diesem lauen Augustabend zu, der gemacht schien, um sich im Freien zu vergnügen.
Und diese Anfänger von den Privaten wollten gegen sie um die Übertragungsrechte der Bundesliga kämpfen? Das war nicht mehr grotesk, das war lächerlich. Was RTL plus oder Sat. 1 taten, ignorierten sie im ZDF am besten einfach.
Was die Sportredakteure beschäftigte, war die Frage: Würde Tennis dank Boris Becker und Steffi Graf dem Fußball den Rang als populärste Sportart ablaufen? Noch war die Bundesliga im Aktuellen Sportstudio der Schwerpunkt, aber genauso bedeutend war es, eine Vielfalt von Sportarten im Programm zu haben, schließlich hieß es Sportstudio und nicht Fußballstudio. Die Speedway-Weltmeisterschaft in Manchester war neben der Bundesliga und Boris Becker das Thema des Tages. Als Studiogäste waren außer Heinz Höher die amerikanische Mittelstreckenläuferin Mary Decker und der 800-Meter-Olympiasieger aus Brasilien Joaquim Cruz geladen.
Jede Persönlichkeit von Belang war schon einmal im Sportstudio, sagten die ZDF-Sportredakteure stolz beim Mittagessen. Außer dem Papst, entgegneten die Politikredakteure. Dann laden wir ihn doch ein, sagte sich Karl Senne.
Nach ein paar Tagen erhielt er eine Antwort auf sein Schreiben an den Vatikan. Papst Johannes Paul II. danke für die Einladung, bedauere aber, mitteilen zu müssen, dass er grundsätzlich nicht an Unterhaltungsprogrammen teilnehme.
Aber nun erst einmal zur Bundesliga, sagte Karl Senne am 31. August. Wann immer sie versucht hatten, die Sendung mit Leichtathletik oder Tennis zu beginnen, hatte es Proteste gegeben. Ich komme nach Hause und will Fußball sehen, und was bringen Sie? Leichtathletik!, schimpfte Bundeskanzler Helmut Kohl am Telefon. Er gehörte zu den regelmäßigeren Anrufern im Sportstudio. Besonders missfiel ihm, dass der Moderator oft das Ergebnis des Spiels vorwegnahm. Warum sagte der Moderator: »Und nun nach Dortmund, wo die Borussia einen glücklichen Nachmittag erlebte«? Da war die Spannung weg!
Herr Bundeskanzler, 98 Prozent unserer Zuschauer kennen bereits das Ergebnis.
Aber ich nicht! Ich arbeite auch am Samstag bis spätabends, ich will mich mit der Bundesliga nach einem langen Arbeitstag belohnen. Ich will, dass es spannend ist.
Damit Zuschauer wie der Bundeskanzler trotz der fehlenden Spannung wenigstens die Emotionen des Spiels spüren konnten, endeten die
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