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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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ließen. Wenn sie das verstehen konnten, verstanden sie alles. Wenn sie das lasen, hatten sie alles gelesen. Wenn sie darüber sprachen, konnten sie über alles sprechen. Smutek war ein Jünger des Mannes ohne Eigenschaften und fest entschlossen, ihn den Schülern zumindest in Auszügen vorzusetzen. Fragmente vom Wesen und Inhalt einer großen Idee.
    Einstweilen ließ die Arbeit ihm Freiräume. Smutek hatte nicht vor, in jenen trägen Trott zu verfallen, der zweifellos den Urzustand der menschlichen Natur darstellte. Vielmehr plante er, das Nachschwingen der glücklichen Sommerferienwochen in den Aufbau einer freiwilligen Leichtathletikgruppe zu investieren. Er wollte den Sportsgeist der Schüler wecken, sie vorsichtig antrainieren, die Begabtesten fördern und spätestens in zwei Jahren mit einer kleinen Schar fröhlicher junger Menschen auf Wettkämpfe fahren. Es war an der Zeit, sich ein Stück eigener Lebenswelt auf Ernst-Bloch zu erobern.
    Jeden Morgen schwenkte Smutek in der einen Hand die Aktenmappe, in der anderen die Sporttasche, indem er von der Haustür zum Auto ging. Er schwenkte sie auf dem Weg vom Lehrerparkplatz zum Schulgebäude und auch im Treppenhaus, wo er zwei bis drei Stufen auf einmal nahm, bis er Teuter in die Arme rannte. Der Direktor stand auf dem obersten Absatz gegen das Geländer gelehnt, als hätte er auf ihn gewartet.
    »Ja nee, Herr Smutek«, sagte er, »wenn Sie einen Moment Zeit haben vor Unterrichtsbeginn, kommen Sie doch mit in mein Büro.«
    Während Smutek ihm folgte, hielt er seine Taschen ruhig am Körper. Teuter hatte als Einziger auf dem förmlichen >Sie< unter Kollegen bestanden, und das kam ihm jetzt so sehr zugute, dass die Vermutung nahe lag, er habe schon seit Jahren auf den Direktorenposten spekuliert. Jeder Frosch strebt heimlich nach der Weltherrschaft, dachte Smutek. Er selbst hatte in seiner Westberliner Zeit beim DTV Charlottenburg Basketball gespielt, traf den Korb noch heute sicher von der Dreipunktelinie aus und sprang aus dem Stand hoch genug für ein vollendetes Dunking. Den Willen zur Macht brauchte er nicht, er hatte immer von oben auf die Dinge geblickt. Er war Asylant, aber kein Frosch gewesen. Teuter hingegen hielt sich gern am oberen Ende der Treppe auf, und er bat gern Menschen in sein Büro. Er liebte es, sie um eine Minute ihrer Zeit zu bitten, wohl wissend, dass sie ihm auch im höchsten Stress zu folgen hatten. Er liebte die zweideutige Höflichkeit desjenigen, der nicht auf Höflichkeit angewiesen ist.
    Smutek begegnete ihm auf dem Schulhof, hinter der Turnhalle, auf der Toilette, an der Tür zum Klassenzimmer, im Treppenhaus. Kommen Sie doch kurz in mein Büro. Die Anliegen waren fadenscheinig, Teuter zeigte einfach Präsenz. Er tickte mit dem Ende seines Mont-Blanc-Füllers gegen die makellosen Schneidezähne, klärte eine Belanglosigkeit und hoffte noch einmal, persönlich und exklusiv, auf künftig gute Zusammenarbeit.
    Smutek dachte sich Schleichwege aus. Zur Turnhalle ging er außen ums Schulgebäude herum, über den Raucherhof und auf der Straße ein Stück zurück, anstatt auf direktem Weg quer über den Parkplatz zu laufen. Im Lehrerzimmer zeigte er sich so selten wie möglich, und wenn es sich einrichten ließ, benutzte er die Schülertoilette. Als er seiner Frau davon erzählte, lachte sie ihn aus.
    »Wenn du so weitermachst, stehst du bald morgens mit Bauchschmerzen auf, weil du Angst vor dem Direktor hast.«
    Sie hatte Recht. An den Weg über den Raucherhof hatte er sich aber inzwischen gewöhnt. Häufig sah er dort Ada, wie sie in der Peripherie einer gemischten Schülergruppe stand, mit halb geschlossenen Augen an einer Zigarette zog und sich nicht am Gespräch beteiligte. Manchmal hob sie das Gesicht in seine Richtung. Er wusste nicht, wie alt sie war; sie wusste, dass er sie trotzdem in Ruhe rauchen ließ. Bei der zwanzigsten Begegnung nickten sie einander zu. Smutek erinnerte sich daran, sie vor den Sommerferien im Lufttunnel getroffen zu haben, in Begleitung einer ganz gegensätzlichen Mutter, die, schwarzhaarig, zierlich und aufgedreht, neben ihrer blonden, kräftigen, lethargischen Tochter tänzelte. In jeder Pause stand Ada auf derselben Stelle, wie ein Gegenstand, der niemandem gehört. Ihr weggetretener Blick war feindselig, Gesicht und Körper hatten etwas zu verbergen, und Smutek fragte sich, ob sie selbst wisse, worum es sich dabei handelte.
    Die Schule betreute etliche Last-Call-Kinder, die nach einer ansehnlichen

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