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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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gefunden, ihr auf dem Handy hinterherzutelefonieren wie ein abgewiesener Liebhaber. Mehr aus Faulheit denn aus Kränkung oder Rache hatte sie seine Anrufe nicht entgegengenommen. Sie wusste, dass er sie liebte. Sie wusste, dass er Angst hatte. Sie war einfach zu erschöpft gewesen, um ihn zu erlösen.
    Verbrechergleich trat er aus dem Schatten der Büsche auf sie zu, mehr denn je ein Mann, dem frisch geschiedene Frauen auf der Straße hinterherschauen; ein Mann, der das Überschreiten des Lebenszenits als Triumphzug und nicht als Gang nach Canossa inszenierte; einer, der geeignet war, auf fassadengroßen Werbeplakaten den modernen Königssohn zu verkörpern. Ada fragte sich, ob er auf der Hardthöhe Affären mit jungen Zeitsol-datinnen hatte. Jemand wie er musste schlichtweg ihr Typ sein. Auf einer Kinoleinwand hätte er - und nicht Smutek, der zu allem gezwungen werden musste - den diabolischen Liebhaber junger Mädchen gespielt.
    Kaum zu Ende gedacht, kam ihr diese Überlegung unrichtig vor. Sie konnte nicht wissen, ob Smutek gezwungen werden MUSSTE, solange sie ihn zwangen. Alevs Prognose nach stand der Moment noch bevor, in dem Smutek frei und eigenständig zu handeln beginnen würde. Aus diesen einfachen Feststellungen folgte eine Verwirrung, die ihr dabei half, den Brigadegeneral angemessen zu empfangen. Er kam ihr mit ausgestreckten Händen entgegen wie ein Büßer.
    »Tut mit leid, Kleines. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    »Es ist schon gut. Du hast mich nicht erschreckt.«
    »Seit der Gerichtsverhandlung warst du telefonisch nicht zu erreichen, und da dachte ich ...«
    »Ich weiß, was du dachtest.«
    Die Mutter hätte ihn nicht in die Wohnung gelassen, auch ein Brief an Ada wäre nicht angekommen, und er traute sich nicht, auf dem Festanschluss anzurufen. Als er ausgezogen war, hatte er sie gefragt, ob sie mit ihm gehen wolle. Sie hatte ihn ausgelacht und anschließend mit ihrer vernünftigsten Stimme erklärt, dass sie sich in seiner neuen Innenstadtwohnung entsetzlich auf die Nerven gehen würden. Außerdem waren alle Zimmer mit Linoleum ausgelegt. Der Brigadegeneral hatte genau gewusst, dass Ada im Gegensatz zu ihm die Familie weder verlassen konnte noch wollte, denn für sie war nichts übrig geblieben, vor dem sie hätte davonlaufen können. Ohne Ada gab es nur noch die Mutter, keinen Zustand, den man floh, sondern einen einzelnen Menschen aus Fleisch und Blut. Nebeneinander traten sie zurück auf die Straße und bogen um die Ecke, so dass die benachbarte Villa den Blick auf die erleuchteten Fenster der ehemaligen Familienwohnung verdeckte.
    »Und du weißt auch, warum ich hier bin?«
    »Ich habe so eine Ahnung.«
    Ada stellte die Sporttasche zwischen den Füßen aufs Pflaster, zog ihren Tabak aus der hinteren Hosentasche und fing an, eine Zigarette zu drehen. Der Brigadegeneral entspannte sich, lehnte sich gegen die Mauer der Nachbarvilla und holte eine Packung Davidoff aus der Innentasche seiner Lederjacke.
    »Ich wollte mich entschuldigen.«
    Sie antwortete nicht. Ihre Zigarette war fertig gestellt, bevor der Brigadegeneral die seine aus der Packung fummeln und zwischen die Lippen schieben konnte. Er gab ihr Feuer, ohne das Streichholz abzuschirmen.
    »Ich wollte mich entschuldigen, dass wir diesmal über die Osterfeiertage nichts unternehmen konnten. In Graz gibt es ein Symposium über Terrorbekämpfung und humanitäre Intervention, und ich hänge mit meinem Vortrag hinterher. Ich wäre gern mit dir weggefahren, Kleines. Wirklich.«
    Erstaunt hob sie das Gesicht, drehte dabei aber die Augen nach unten, auf das glühende Ende der Zigarette schielend, so dass er nur ihre langen Lider und die ungeschminkten Wimpern zu sehen bekam. Darunter verbarg sie die Wut auf ihn. Es regte sie auf, dass er hier herumstand, unter den Fenstern des Nachbarn, in dessen Sohn sie als kleines Mädchen verliebt gewesen war und an den sie heute nicht mehr erinnert werden wollte, weil er sich Tschako nannte und das Haar im Nacken bis zur Höhe der Ohrläppchen ausrasierte. Der Brigadegeneral scharrte mit den Füßen, anstatt mit ihr auf einen Wein in die Innenstadt zu fahren, wo sie, in breiten Ledersesseln sitzend, eingehüllt vom Zigarrenrauch der übrig gebliebenen Bonner High Society, über alles in Ruhe hätten sprechen können. Hätte Ada sich ihm gegenüber eine solche Schwäche erlaubt, wäre er ihr mit Ungeduld und einer simplen Ermahnung begegnet: Die Welt wird nicht einfacher, indem wir sie fürchten. Komm

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