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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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erschienen, perverser als alles, was Smutek in der Turnhalle beanstandet hatte. Natürlich war nichts dabei. Sie waren eben beide noch jung, gleichaltrige Männer, potentielle Freunde oder Feinde, mit dem Unterschied, dass nur Smutek einem einfiel, wenn man in einer holländischen Kneipe nach Personen suchte, deren Gedankengänge man zitieren konnte. Der Brigadegeneral war einer von vielen, die draußen herumliefen, und einer von wenigen, mit denen man sich unterhalten konnte. Kein Grund zur Panik.
    »Kein schlimmer Ärger«, sagte Ada, um zum Gespräch zurückzukommen, und inhalierte die letzten verbrennenden Tabakreste. Weil man so die besten Lügen erzeugte, beschloss sie, bei der Wahrheit zu bleiben. »Fassen wir es so: Die Kuh, die ich melke, wollte nicht gleich auf die Wiese.«
    Er nickte und ließ es gut sein. Er glaubte nicht, dass sie etwas tun könnte, mit dem sie sich selber schadete. Dafür war sie zu klug, zu flink und zu hart im Nehmen. Und damit hatte er recht. Als er sich zum Gehen wandte, hielt sie ihn zurück.
    »Mutter leitet ein Strafverfahren gegen dich ein«, sagte sie.
    »Wegen Unterschlagung und Verletzung der Unterhaltspflicht. Nur damit du es weißt.«
    »Das ist doch Unsinn.«
    »Mag sein. Aber sie will es bis zum Klageerzwingungsverfahren treiben. Was, wenn dein Arbeitgeber davon Wind bekommt?«
    Trotz Nacht und Mondlicht sah sie ihn erbleichen und konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor einen solchen Farbwechsel auf seinem Gesicht bemerkt zu haben.
    »Dir ist klar, dass im Zweifel alles von meiner Aussage abhängt, oder?«
    »Ada.« Als er nach ihr fasste, griff er ins Leere. Sie war ausgewichen, lang bevor seine Hände sie erreichten. Dann erst erkannte er jenes Lächeln, mit dem sie gemeinsam über die Planke der Piraten schreiten würden.
    »Nur falls du vorhattest, penetrant zu werden bezüglich der Frage, auf welche Weise ich mein Schulgeld verdiene«, sagte sie.
    Er umarmte sie, dankte ihr für die Absolution und dafür, dass der Apfel auch dann nicht weit vom Stamm fällt, wenn er gar nicht auf dem Baum gewachsen ist. Auf klappenden Ledersohlen verschwand er in der Nacht, sein Auto stand zwei Straßen weiter geparkt, und nahm eine Menge Stoff zum Nachdenken mit sich.
    Smutek erschlägt eine Fliege. Smutek
    gibt gern
    A m Ende der zweiwöchigen Osterpause tauchten alle Beteiligten in den Schulalltag wie Fische, die man in letzter Sekunde vom Land ins Wasser zurückgeworfen hat. Die vielen sonnendurchfluteten, beschäftigungslosen Vormittage, die kalt verregneten Nachmittage, dazu ruhige Abende auf der heimatlichen Couch, dem Bett oder Klodeckel hatten zermürbende Wirkung. Sekunden tickten gleichmäßig und sinnlos wie eine chinesische Wasserfolter. Das Fernsehen redete Blödsinn, und man konnte nicht ständig Bücher lesen, oder besser gesagt, während des Wartens auf den Fortgang realer Dinge war Lesen ein aussichtsloses Unterfangen. Smutek war es nicht einmal gelungen, den Stapel zeitgenössischer Literatur durchzugehen, der seit Monaten als ständige Mahnung auf seinem Schreibtisch lag. Wie Kinder mit Hausarrest pressten die Gedanken sich an den Fenstern des Bewusstseins die Nasen platt.
    Am Dienstagvormittag fand Smutek mitten im Unterricht einen Zettel, der wie ein Lesezeichen im Mann ohne Eigenschaften steckte, genau an der Stelle, deren Zusammenfassung er der Klasse als Hausarbeit über die Ferien aufgegeben hatte. Seit Ada und Alev den Unterricht nicht mehr als Trainingslager gebrauchten, hatte sich das Leistungsniveau der Klasse spürbar gesenkt. Während ein Schüler seine Ideen von der österreichischen Parallelaktion mit nörgelnder Lesestimme ins Klassenzimmer sprach, interpunktiert vom stoßweisen Gebrumm einer Fliege, die hartnäckig gegen die gläserne Illusion von Freiheit anflog, las Smutek den kleinen Brief, der, in Adas Handschrift verfasst, ein völlig anderes Aussehen, ja förmlich einen anderen Geruch als die bisherigen Erpressernotizen besaß.
    Ada saß reglos wie eine Statue auf ihrem Platz. Das Haar hing als kleines blondes Zelt an den Seiten herab und verdeckte das Gesicht, so dass es aussah, als schaute sie mit gesenktem Kopf in das aufgeschlagene Buch auf der Tischkante. In Wahrheit betrachtete sie ihre Füße, die, parallel nebeneinander gestellt, in weichen roten Turnschuhen steckten. Diese Schuhe hatte Alev ihr am Morgen geschenkt, nachträglich zu Ostern, und verlangt, dass sie sofort die schweren Stiefel ablege. Die Turnschuhe waren aus Wildleder,

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