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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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unterdrückter Stimme. Seine Augen rannten wild wie die eines in die Enge getriebenen Tiers über Sprungseile, Böcke, Staffelstäbe, Holme und anderes unappetitliches Zubehör. Ada saß am Boden vor der hölzernen Kletterwand.
    »Was ist anormal?«, fragte Alev freundlich. »Sex?«
    »Es ist anormal, einen anderen Menschen zum Sex zu zwingen.«
    »So?« Alev atmete tief ein und stellte einen Fuß in Rednerpose nach vorn. Ich liebe dich, dachte Ada, als sie seinem ägyptischen Blick begegnete, ich liebe dich einfach. »Du meinst, das hier weiche von der Norm ab? Ein Großteil aller sexuellen Kontakte wird in geraumem Sicherheitsabstand von schönen Gefühlen vollzogen und bestimmt die Hälfte der Begegnungen erfolgt ohne das lupenreine Einverständnis eines Beteiligten. Frauen suchen Weiblichkeit, Männer die Männlichkeit, es regieren Eigenliebe, Routine, Macht und Geld. Und Zwang ist notwendiger Bestandteil jedes geschlechtlichen Akts. Es geht immer um die Überwindung von Widerständen, nein?« Dem Ende des Vortrags verlieh Alev den Schnörkel eines sympathischen Lächelns, kam näher und sah Smutek, der sichtbar Atemluft pumpte, freundlich in die Augen.
    »Was«, zischte dieser, »weißt Du darüber?«
    Sofort geriet Alev tiefer in sein Element, breitete die Arme aus und entlud ein Stück orientalischer Herzlichkeit. Mit dem schräg einfallenden Licht im Rücken bildete er für einen Moment das Zentrum des Universums.
    »So viel, wie nur ein Außenstehender wissen kann. Lass dir von dieser Warte gesagt sein: Was hier zwischen uns abläuft, ist nicht schlimmer als das Klirren einer Balkontür, die ein menschlicher Körper durchschlägt. Es gehört schlicht zu den Dingen, die sich täglich auf der Welt ereignen.«
    Ada hatte während der ganzen Szene reglos gesessen wie ein Medizinball, ein zusammengekauertes Stück Leder und Luft. Nachdem Smutek eine seitliche Bewegung vollführt hatte, entzog sein breites Kreuz Alev ihren Blicken. Aber sie sah einen Miniaturwald aus unruhig federnden Beinen, und sie sah das Zucken in Smuteks Armen, während er mit den Händen eine Geste dicht vor Alevs Gesicht vollführte, die jenen dazu brachte, seine Haltung aufzugeben und rückwärts vor Smutek zurückzuweichen. Ada wartete auf den Klang schneller Schritte, einen Schlag, ein Stöhnen oder Schreien, Geräusche, die sie präzise vorhersagen konnte, ohne sie jemals gehört zu haben. Nichts passierte. Smutek kam zu ihr, hockte sich neben sie, dass ihre Schultern sich berührten, und schlang die Arme um die Knie, bis er ein ebenso kleines Paket war wie sie. Seite an Seite sahen sie zu Alev hinüber, der sein Gesicht verbarg, indem er sich tief über die Kamera beugte. Mit einem Mal bekam Ada Angst, nackte, unintelligente Angst vor einem Mann, der nicht einfach ein gutmütiger Junge war, sondern sich jeden Freitag unter Zwang in dieser Sporthalle einfand und die Kraft besessen hätte, sie beide totzuprügeln.
    »Das eigentlich Perverse ist«, sagte Smutek leise, »dass ich dir jeden Verrat verzeihe und dass der da mir leid tut.«
    Ich liebe dich, dachte Ada, nicht, weil es stimmte, sondern weil es ihr grundlos in den Sinn kam. Alev klatschte in die Hände wie ein Animateur, er hatte die Kamera in Position gebracht. Es dauerte über eine halbe Stunde, bis Smutek tun konnte, was sie von ihm verlangten.
    Ada hatte nur ein paar Sekunden geschwiegen, der Brigadegeneral schaute sie abwartend an. Die Möglichkeit eines simplen Gesprächs über die Ereignisse des Nachmittags spürte sie im Nacken wie die Anwesenheit von etwas Gegenständlichem. Ein Löwenkäfig, vor dem sie plaudernd beisammenstanden, während nur Ada die offene Gittertür bemerkte. Ihre Selbstgedrehte war ausgegangen, mit ungeduldigem Zeigefinger verlangte sie ein zweites Mal Feuer, nahm das Streichholz selbst und setzte mit schief gelegtem Kopf den kurzen Stummel in Brand. Dabei stand der Brigadegeneral zu nah vor ihr, und plötzlich ergriff sie ein Würgen, dass die ganze Länge des Körpers erfasste, in den Zehenspitzen begann, die Kniescheiben dazu brachte, sich aneinander zu pressen, die Eingeweide zusammenkrampfte und die Mundwinkel verbog.
    »Alles klar?«
    »Jaja. Hab mich verbrannt.«
    Sogleich beruhigte sie sich wieder. Etwas zu unvermittelt war ihr aufgefallen, dass Smutek nicht viel jünger war als der Brigadegeneral, was waren schon fünf oder sechs Jahre, wenn man die dreißig überschritten hatte? Im ersten Moment war ihr dieser harmlose Gedanke pervers

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